Paul Stierschneider ist so etwas wie ein stilles, tiefes Wasser der Wachau. Oft hört man lange nichts von ihm, dann startet er wieder wie eine Rakete durch. Im Interview über seinen Überraschungs-Siegerwein vom Loibenberg von ausgesprochen jungen Rebanlagen und die Zusammenarbeit mit acht Schafböcken.

2022 Riesling 351 Ried Loibenberg Smaragd, Paul Stierschneider © Paul Stierschneider

Vinaria: Ihr Riesling Smaragd Ried Loibenberg 351 hat auf der ganzen Linie überzeugt. Viele kennen Ihren Betrieb gar nicht…

Paul Stierschneider: Wir sind ein kleiner, reiner Familienbetrieb, der seit Generationen in Oberloiben ansässig ist. Gegenwärtig bewirtschaften wir sechs Hektar Weinbaufläche, die wir, abgesehen von der Lese, ganz alleine betreuen. Die Kellerarbeiten teile ich mir mit meinem Sohn Valentin.

Vinaria: Was bedeutet eigentlich die Bezeichnung 351 für diesen Riesling?

Paul Stierschneider: Dieser Weingarten liegt auf 351 Metern Seehöhe im obersten östlichen Abschnitt des Loibenbergs, oberhalb der Ried Steinertal. Dabei handelt es sich um einen jungen Weingarten, der erst 2021 die Jungfernlese erbracht hat. 2022 hatten wir recht lockerbeerige Trauben, welche sowohl die langen Trockenperioden als auch die herbstlichen Niederschläge gut überstanden haben. Dazu ist zu ergänzen, dass die Regenfälle im Osten der Wachau nicht so ergiebig ausfielen wie im Westen. Einiges Kopfzerbrechen hat uns bereitet, dass am Loibenberg zwei Pumpen der Bewässerungsanlage zeitweise ausgefallen sind und somit zwei Turnusse der Bewässerung unterblieben sind. Aber letzten Endes haben wir sehr reifes und gesundes Lesegut einbringen können, das schon ein bisschen in die rosinige Richtung ging. Mit 5,8 Gramm Restzucker und 7,2 Promille Säure ist der 351er in sehr schöner Balance.

Vinaria: Es gibt noch einen weiteren Riesling Smaragd vom Loibenberg, der 2021 und 2022 ebenfalls exzellent ausgefallen ist?

Paul Stierschneider: Ja, dieser Riesling gedeiht auf zwei mittigen Parzellen am Loibenberg, die an der ersten Straße am Hang gelegen sind.

Vinaria: Was ist bei der Bewirtschaftung der Weingärten und der Vinifikation der Jungweine hervorzuheben?

Paul Stierschneider: In unseren Rebflächen haben wir vor einiger Zeit mit einem Experiment, nämlich dem Einsatz einer kleinwüchsigen Schafrasse begonnen. Seither lassen wir acht Schafböcke die Bodenarbeit und zum Teil auch die Laubarbeit verrichten, was erstaunlich gut funktioniert; von der Traubenzone müssen wir sie im Herbst allerdings fernhalten. Im Keller vergären und lagern wir die Weine im Stahltank, wobei wir bei der Vergärung auf vier Stämme von Reinzuchthefen setzen, die sich für unsere Ausbauweise und Stilistik bewährt haben. Die Maischestandzeit halten wir in der Regel mit vier bis fünf Stunden relativ kurz. Auf diese Weise können wir jenen straffen, schlanken Stil realisieren, den wir prinzipiell anstreben.

Vinaria: Was erwarten Sie vom kommenden Jahrgang 2023?

Paul Stierschneider: Dort, wo die Wasserversorgung gut war, zeichnet sich ein Superjahrgang mit hohen Mostgewichten bei mittleren Säurewerten ab.

Die ersten Verkostungen der Jungweine im Spätwinter und Vorfrühling führten zu einem gewissen Aufatmen, waren die 2022er doch keineswegs breit oder lasch, wie man es aus früheren Hitzejahren à la 2003 oder 2018 leidvoll in Erinnerung hatte. Auch röstig-verbrannte Untertöne infolge Sonnenbrandes der Beeren blieben völlig aus – offensichtlich hatten die Weinbauern puncto Laubarbeit die richtigen Schlüsse gezogen.

Für die Rieslinge kam der positive Umstand hinzu, dass sich speziell die leichteren Gebiets- und Ortsweine so früh wie selten zuvor in guter Form befanden und mit überraschender Präsenz und Fruchtcharme punkteten, auch wenn sie eher zart, zum Teil sogar filigran erschienen.

Die anlässlich der ungünstigen Lesebedingungen seinerzeit geäußerten Zweifel wurden im Jahresverlauf wieder lauter hörbar, als sich nämlich bei der Verkostung manch namhafter Lagenweine herausstellte, dass sie bezüglich Dichte und Substanz doch deutlich hinter den Erwartungen zurückblieben. Gerade die Riesling-Hochburgen nördlich der Donau waren von den Regenfällen zur Unzeit besonders betroffen, wobei es allerdings auch in der Wachau sowie im Kamptal und Kremstal erstaunliche Unterschiede auf engem Raum gab. Blindes Vertrauen auf die Güte bekannter Rieden und die Kompetenz erfahrener Riesling-Produzenten war unter diesen Umständen nicht angebracht.

Viel Licht und ein wenig Schatten

Die wie immer groß angelegte und repräsentative Vinaria-Degustation der aktuellen Premiumrieslinge hat im Großen und Ganzen erneut eine gewisse Wendung erbracht, und zwar eindeutig zum Positiven. Erfreulich waren dabei zwei durchaus unterschiedliche Aspekte:

So war das Durchschnittsniveau gesamthaft gesehen sehr ansprechend, und die überwiegend charmanten und balancierten Rieslinge werden wohl mit Freuden genossen werden, dies umso mehr, da sie schon in ihrer Jugend wenig Ecken und Kanten aufweisen, zumal die Säurewerte relativ niedrig ausgefallen sind und auch der Alkoholgehalt überschaubar ist; sie besitzen zudem genügend Fruchttiefe und Sortentypizität, um auch in den nächsten Jahren Trinkvergnügen zu bereiten.

Im Spitzenfeld der besten zwanzig 2022er waren nämlich die Fruchtaromen sehr ausgeprägt und reichten von den öfter zu konstatierenden Assoziationen von Marille, Pfirsich und Ananas bis zu Stachelbeeren, roten Ribiseln, Maracuja und Limette. Die Substanz lag zumeist im mittleren, fallweise auch im gehobenen Bereich, schlanke Versionen waren kaum anzutreffen.

Keine regionalen Präferenzen, tolle 2021er

Die aufgrund der Turbulenzen der Witterung vielfach erwarteten regionalen Unterschiede sind erstaunlicherweise größtenteils ausgeblieben. So hatte die wahrlich nicht vom Witterungsverlauf begünstigte Wachau einige heiße Eisen im Rennen, allen voran den mit charmantem Fruchtschmelz nur so prunkenden 351er Loibenberg Smaragd von Paul Stierschneider. Dass auf der Loibner Scheibe tolle Qualitäten möglich waren, bewies auch der vor gelben Früchten strotzende Loibenberg Smaragd von Franz Josef Gritsch. Aber auch der legendäre, noch unentwickelte Schütt-Riesling von Emmerich Knoll und der von kühler Eleganz geprägte, feingliedrige Kellerberg der Domäne Wachau haben gezeigt, welch hohes Niveau bei penibler Selektion doch möglich war.

Schwieriger war die Situation freilich im Westen der Wachau, umso mehr sind die untadelige Performance des Singerriedel von Franz Hirtzberger und des Klaus von Herwig Jamek hervorzuheben, die offenbar unter diesen schwierigen Bedingungen das Maximum herausgeholt haben.

Wachau & Kamp-, Krems- und Traisental

Aus dem Kamptal gab es wieder einige Rieslinge von hoher Strahlkraft, etwa den kühl-fruchtigen, facettenreichen Heiligenstein von Birgit Eichinger, aber auch die überaus harmonischen Riesling-Interpretationen der Ried Gaisberg von Schloss Gobelsburg und Johannes Hirsch besitzen ihre Meriten, wie überhaupt diese Lage im Vorjahr besonders gut reüssiert hat.

Das Kremstal war in erster Linie durch die fulminanten Rieslinge von Familie Proidl präsent, die von Jahr zu Jahr noch an Expression und Profil zuzulegen scheinen. Hier stimmt einfach alles: tiefes Fruchtspiel, Harmonie und Rasse sind ebenso augenscheinlich wie ein für viele Jahre konzipiertes Reifepotenzial. Von ihrer besten Seite haben sich auch wieder einmal die kraftvollen wie samtigen Kellerterrassen von Hermann Moser gezeigt. Eine solide Vorstellung hat mit zwei sehr pointierten, jeweils die gelbfruchtigen Aromen betonenden Rieslingen heuer das Traisental geliefert: zum einen mit der Getzersdorfer Ried Berg von Markus Huber, die vielleicht so gut wie noch nie gelungen ist, und zum anderen mit dem Inzersdorfer Pletzengraben des immer stärker in den Vordergrund rückenden „Newcomers“ Tom Dockner.

Edlmoser & Kroiss scoren für Wien

Eine Aufzählung der besten Jahrgangs-Rieslinge ohne Wiener Beteiligung ist mittlerweile schwer vorstellbar, und so waren auch diesmal zwei 2021er-Rieslinge aus Wiener Paraderieden ganz vorne dabei. Michael Edlmoser, der derzeit offenbar einen beachtlichen Lauf hat, konnte mit dem Kalkstein von der Maurer Ried Sätzen wieder einmal eine Trophy-Platzierung erringen. Zweifellos ein Riesling mit großen Reserven, was uneingeschränkt auch für die fein strukturierte wie stahlige Selection Julia von der Ried Hackenberg gilt, die das als Wiener „Geheimtipp“ geltende Sieveringer Weingut Kroiss ins Rennen schickte.

 

Topliste Riesling Premium aus Österreich

18,1 Paul Stierschneider 2022 RI 351 Ried Loibenberg Smaragd WA
18,0 Weingut Proidl   2021 RI Universum Grande Reserve Reserve KR
17,9 Weingut Edlmoser 2021 Riesling Kalkstein Ried Sätzen Maurerberg WI
17,9 FJ Gritsch 2022 RI Ried Loibenberg Smaragd WA
17,9 Weingut Proidl   2022 RI Ried Ehrenfels Reserve KR
17,6 Weingut Kroiss 2021 Riesling Julia Ried Hackenberg WI
17,5 Birgit Eichinger 2022 RI Ried Heiligenstein KA
17,5 Weingut Schloss Gobelsburg 2021 RI Ried Gaisberg 1ÖTW KA
17,4 Weingut Hirtzberger 2022 RI Ried Singerriedel Smaragd WA
17,4 Markus Huber 2022 RI Getzersdorfer Ried Berg TR
17,3 Tom Dockner 2022 RI Inzersdorfer Ried Pletzengraben TR
17,3 Domäne Wachau 2022 RI Ried Kellerberg Smaragd WA
17,3 Weingut Jamek 2022 RI Ried Klaus Smaragd WA
17,3 Weingut Knoll 2022 RI Ried Schütt Smaragd WA
17,3 Weingut Schloss Gobelsburg 2021 RI Ried Heiligenstein 1ÖTW KA
17,2 Weingut Proidl   2022 RI Ried Hochäcker Reserve KR
17,1 FJ Gritsch 2022 RI Ried Kalkofen Smaragd WA
17,1 Weingut Hermann Moser        2022 RI Ried Gebling Kellerterrassen Reserve KR
17,1 Barbara Öhlzelt 2022 RI Ried Kogelberg Reserve 1ÖTW KA
17,0 Weingut Jurtschitsch 2021 RI Ried Heiligenstein Alte Reben KA
17,0 Weingut Kroiss 2022 RI Selection Ried Hackenberg WI
16,9 Weingut Bründlmayer 2022 RI Ried Heiligenstein KA
16,9 Weingut Buchegger 2022 RI Ried Moosburgerin 1ÖTW Reserve KR
16,9 Weingut Jurtschitsch 2021 RI Ried Heiligenstein KA
16,9 Paul Stierschneider 2022 RI Ried Loibenberg Smaragd WA
16,8 Weingut Hirsch 2022 RI Ried Gaisberg KA
16,8 Weingut Steininger 2022 RI Ried Seeberg Reserve KA
16,8 Weingut Topf 2022 RI Ried Heiligenstein KA
16,7 Weingut Hirsch                     2022 RI Ried Heiligenstein Rotfels KA

 

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Die Schafböcke im Urbanushof sorgen für einen Teil der Weingartenarbeit. © Urbanushof