2022 gilt bereits jetzt in Bordeaux als mediterraner Ausnahme-Jahrgang, der in ganz Frankreich von heiß-trockenem Sommerwetter geprägt war. Die eben angelaufenen En-Primeur-Kampagnen bestätigen die hohen Erwartungen in den Jahrgang 2022. Und lassen weiter steigende Preise befürchten.

Professor Axel Marchal von der Universität Bordeaux in den Weinbergen von Château Haut-Bailly. © Luke Carver

Die Weinlese in den vollkommen gesunden Weinbergen erfolgte im Bordelais im Vorjahr außergewöhnlich früh. Bereits die ersten gepressten Säfte zeigten kräftige Farben und intensive Aromen, deren konzentriertes und gleichzeitig ausgewogenes Geschmacksprofil von beeindruckender Persistenz auf einen Jahrgang schließen lässt, der an die größten Weinjahrgänge des ersten Vierteljahrhunderts anknüpft.

Es steht außer Frage, dass 2022 ein großartiger Bordeaux-Jahrgang ist. Auf mysteriöse Weise scheint jedoch niemand zu verstehen, warum. Auf dem Papier war der Jahrgang zu heiß (vier Hitzewellen mit 40 Grad Celsius bereits im Juni) und viel zu trocken (Bewässerung wurde in Pomerol offiziell erlaubt). Die Winzer sind sich einig: der entscheidende Faktor war, dass sich die Reben frühzeitig an die Bedingungen angepasst und sich selbst gerettet haben, um das Ende des Zyklus zu erreichen.

Merlot spielt 2022 alle seine Asse aus

Von den Rebsorten her ist es der Merlot, der am meisten vom Jahrgang profitiert und alle seine Asse punktgenau ausspielen kann. Daher sind es die Merlot- oder vom Merlot dominierten Blends, die sich im aktuellen Jahrgang ganz in den Vordergrund spielen.

Der um 15 bis 20 Tage frühere Erntebeginn prägt den Jahrgang 2022. Die Hitze und Trockenheit begünstigten den Wuchs schöner, aber kleiner Beeren, die besonders gesund waren und eine gute Balance zwischen Säure und Frische aufweisen. Am rechten Ufer der Garonne zeigen sich die jungen Weine sehr konzentriert, tiefgründig, mit präsenter Säure und reichlich Frucht, viel weiches Tannin. Bordeaux Experten halten die Jahrgang 2022 für deutlich besser und noch langlebiger als etwa die Legenden-Jahrgänge 1982 und 1961.

Der Jahrgang 2022 ist ein absoluter Kracher

Möglicherweise wird sich der Jahrgang 2022 so gut entwickeln, dass es wirklich historisch wird. In Bordeaux zieht man im Rahmen der En-Primeur-Kampagne am liebsten Vergleiche zum absolut großen Jahrgang 1982: Nur, dass es in 2022 viel mehr Know-how bei den Winzern und modernere Technik in den Kellern gab, bessere Substanz bei den Weinstöcken, niedrigere Erträge, viel weniger Herbizide (und analog mehr biologische oder naturnahe Bewirtschaftung) und viel bessere Beerenselektion als das vor mittlerweile 40 Jahren der Fall war.

In der Euphorie, die wohl auch die Preisspirale befeuern wird, sehen manche Bordelaiser Winzer den Jahrgang 2022 gar als Symbiose aus 1945, 1961 und 1982, aber auf noch viel höherem Niveau: „Es klingt wie Wahnsinn und ist es auch!“ Einge der großen Châteaux überschlagen sich fast vor Begeisterung: „2022 is an exceptional vintage!“ (Pontet Canet) – „Fabulous!!!“ (Cos d’Estournel) – „Extremely promising!“ (Haut Bailly) - „We’re announcing a pretty success vintage“ (Montrose).

„Das ist einfach saugut!“

Auf den Punkt bringt seine Meinung zum Jahrgang 2022 in Bordeaux auch der deutsche Spitzenwinzer und renommierte Bordeaus Händler Fritz Becker vom Weingut Franz Becker: „2022 ist saugut! Bleibt am Ende die Frage: War 2022 einmalig oder war es der Auftakt zu einer neuen Normalität in Bordeaux?

Axel Marchal, Professor am Bordeaux University’s Institute of Vine and Wine Sciences, hat den Jahrgang 2022 in allen Details analysiert. Seine Arbeit – in englischer Sprache – finden Sie im Weblink am Ende des Beitrages. Eine wahre Fundgrube für Freaks.