Rekorde in Sachen Hitze und Trockenheit in Bordeaux im Sommer 2022 ließen bei Winzern und Fachleuten die Alarmglocken schrillen. Doch die Befürchtungen sind allen Klimakurven zum Trotz unbegründet: Die gelungenen 2022er Rotweine strotzen nämlich vor klarer, vitaler Frucht und straffer Struktur.

Internationale Spezialisten vermeinen sogar, mit dem 2022er den besten Jahrgang aller Zeiten geortet zu haben. Auch wenn es eine hohe Dichte an exzellenten Weinen – vor allem in Rot – gibt: „the best vintage ever“ zum jetzigen Zeitpunkt auszurufen scheint doch allzu optimistisch, vor allem aber verfrüht. Die Euphorie um 2022 wird allerdings verständlicher, wenn man den Vorgängerjahrgang im Vergleich heranzieht, der wie die Antithese zu Ersterem erscheint.

Es herrschte durchaus Rätselraten, warum dieses Jahr extremer Hitze und Trockenheit Weine von derart hohem Qualitätslevel hervorzubringen imstande war, vor allem aber herrschte allgemeine Verblüffung ob des transparenten und ungemein vitalen Charakters der Rotweine. Folglich gab es unterschiedlichste Ansatzpunkte, um diese Tatsachen zu erklären.

Höchste Qualität trotz Hitze und Trockenheit

Einig waren sich Fachjournalisten, Händler und Kritiker, dass ein entsprechendes Laubmanagement von immanenter Bedeutung war. Beschattung war angesagt, Freistellen der Blätter kontraindiziert. Viele wiesen auch auf die Wichtigkeit der Bodenbedeckung und Bodenbearbeitung hin: begrünen, mulchen, mit Stroh abdecken – hier wurden mehrere Strategien erfolgreich verfolgt. Zwar gab es in manchen Bereichen eine Ausnahmeregelung hinsichtlich Bewässerung, doch wurde diese praktisch nicht genutzt, da Systeme und Transportlogistik fehlen.

Schließlich waren auch prinzipiell die kühleren, tiefgründigeren Böden im Vorteil gegenüber den warmen schottrigen und sandigen. Generell würde das heißen, dass St. Emilion und das nördliche Médoc einen kleinen Vorteil aufwiesen, Pomerol, Graves und etwa Margaux etwas im Nachteil waren. Die Top-Weine dieser Appellationen strafen diese These Lügen, weshalb man feststellen kann, dass die Kontinuität in den erstgenannten Appellationen höher ist.

Sanfterer Ausbau im Holz

Es war sicher günstig, die Ernte eher zu einem frühen bis mittleren Zeitpunkt anzusetzen. Bei der Verarbeitung war Vorsicht bei der Extraktion angesagt, da die Beeren eben sehr klein waren. Die Erntemenge dürfte übrigens 15 Prozent unter dem zehnjährigen Schnitt liegen. Auch beim Holzausbau wählten viele einen sanfteren Weg, also weniger Neuholz.

Besonders frappierend ist die Frische der Rotweine, umso mehr, da ja die Säuregehalte eher niedrig sind. Nachvollziehbarerweise wurde meist der feuchte Vorgängerjahrgang herangezogen, der dank hoher Niederschläge im Dezember die Wasserreservoirs auffüllte; wesentlich schienen auch die teils starken Regengüsse im Juni 2022. Als wesentlichen Faktor betrachteten viele Erzeuger auch die Tatsache, dass die Hitze schon sehr früh einsetzte und praktisch lückenlos bis in den September hinein anhielt, wodurch sich die Reben daran gewöhnen konnten. Das Wurzelsystem war dadurch bereits früh gefordert, in die Tiefe zu wachsen oder blieben die Blätter kleiner, wodurch die Verdunstung geringer war. Dazu wurde teils angeführt, dass die Nachttemperaturen im Sommer eher moderat waren, was allerdings andere Winzer eher infrage stellten.

Unabhängig aller Erklärungsversuche ist die Qualität insbesondere der Rotweine sehr hoch, wenn ich mich auch nicht zum jetzigen Zeitpunkt der Gruppe anschließen kann, die hier den besten Jahrgang aller Zeiten ortet. Es gibt sehr, sehr viele Spitzenweine und am unteren Ende eine große Vielzahl von sehr guten wie trinkvergnüglichen Klassikern im Preis-Leistungs-Bereich.

 

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Vom Kult-Château Palmer in der Appellation Margaux kam ein herausragender Wein. © Olivier Metzger
La Conseillante in Pomerol steht auch 2022 für hohe Eleganz. © Château La Conseillante
Château Margaux Corinne Mentzelopoulos mit Tochter Alexandra und Sohn Alexis vor dem Premier Grand Cru Classé Château Margaux. © Laura Stevens
Florence und Daniel Cathiard von Château Smith Haut Lafitte in Pessac-Léognan. © Camille Wisser
François-Xavier Maroteaux von Château Branaire Ducru in Saint-Julièn. © Brice Braastad - EPISODE II
Château Lafite Rothschild, Premier Grand Cru Classé in Pauillac. © F.Poincet
Frédéric Engerer von Château Latour. © Brice Braastad - EPISODE II
Henri Lurton (re) mit der Mannschaft von Brane-Cantenac. © Château Brane-Cantenac
Vom legendären Château Cheval Blanc kam einer der besten Weine aus dem Superjahr 2022. © Deepix
Château Haut-Bailly ist unter den TopWeingütern in Péssac-Léognan. © Clay McLachlan
Ein legendärer 2022er ist auf Château Petrus entstanden. © Benjamin Deroche
François und Nina Mitjavileim Keller von Château Tertre Roteboeuf. © Leif Carlsson
Prachtvolles Château, prächtige Weine: Château Angélus in Saint-Émilion. © Château Angélus
Bei dem mit hervorragendem Terroir ausgestatteten Château Bellefont-Belcier geht es seit Jahren steil nach oben. © Nicolas Claris
Philippe und Matthieu Cuvelier von Clos Fourtet. © F.Poincet