Die Weinviertler Kellerkultur wurde in das Österreichische Verzeichnis des Immateriellen UNESCO Kulturerbes aufgenommen. Der Wiener Historiker und VINARIA-Autor Johann Werfring verfasste dazu als Grundlage die folgende Expertise, die zur Aufnahme in das UNESCO-Verzeichnis maßgeblich beitrug:

Enge Gasse, dicht verbaut: Alte Kellergasse in Röschitz, einer der bekanntesten Weinbaugemeinden. © Stefanie Grüssl

In Niederöstereich ist das Landschaftsbild (von West nach Ost) in Bereichen des Kremstals und des Kamptals, im Traisental, im Weinviertel, und im Weinbaugebiet Carnuntum von Kellergassen geprägt, wohingegen in den anderen Weingebieten die im Hausverband gelegenen Keller vorherrschen. Besondere kellerkulturelle Elemente, Rituale und Gebräuche haben sich am stärksten in den fernab der bäuerlichen Behausungen gelegenen Kellergassen etabliert. Eine herausragende Stellung kommt der Kellerkultur im Weinviertel zu, wo die ,,Dörfer ohne Rauchfang“, wie die Kellergassen dort genannt werden, die höchste Dichte erreichen. Die über Generationen hinweg gepflogene Kellerkultur hat dort die Identität der bäuerlichen Bevölkerung wesentlich mitgeprägt.

Die gelebte Tradition über Generationen erhalten

Freilich wurde früher der Großteil der Gebräuche nicht schriftlich aufgezeichnet, sondern im Wege der gelebten Tradition aufrechterhalten. Ein einzigartiges Zeugnis, das hier die Ausnahme bildet, ist ein in der Zeitschift des Vereins für Volkskunde von Niederösterreich, 11. Jahrgang, Berlin 1901, Seite 452–455 und in dem von Erwin Eminger 1992 vefassten Werk ,,Der Protteser Weinbau in Geschichte und Gegenwart“ vollständig abgedrucktes ,,Kellerrecht“ aus dem Jahr 1614, das bis in die 1870er-Jahre in den Gräflich-Kinsky’schen Kellereien zu Matzen im Marchfeld aufbewahrt worden und dann in Privatbesiz übergegangen war. Es sind in diesem Kellerrecht Verhaltensanweisungen zu finden, die noch heute den Sitten der Weinviertler Winzer zuzurechnen sind. Dazu zählt etwa das Gebot der Gewährung eines Gasttrunks oder das Verbot, in einem fremden Keller an ein Fass zu klopfen.

Wenngleich heute nur noch wenige der in den Kellergassen befindlichen Weinkeller mit ihren angegliederten Presshäusern bewirtschaftet werden, ist im Weinviertel ein augenfälliges Bemühen zu registrieren, der daraus entspringenden Kellerkultur ein lebendiges Andenken zu bewahren. Viele Gemeinden und eine Reihe privater Vereine bemühen sich um die Erhaltung der Kellergassen und der Kellerkultur. Zu ihnen zählen eine in Hollabrunn angestammte Vereinigung von Kellergassenführern, die Poysdorfer Kellerakademie, der Kellergassenverein Oberkreuzstetten, der Verein ,,Kulturschatz Kellergasse“ in Obernalb, der in Raschala ansässige Verein „D’ Raschala Köllamauna“ und der Wolkersdorfer „Verein Köllamauna und -weiba“, um nur einige zu nennen.

Köllamauna unterm Nussbaum

Als „Köllamauna“ wurden Hauer früher dann wahrgenommen, wenn sie in der wärmeren Jahreszeit nach getaner Arbeit am Abend Wein genießend unter einem Nussbaum vor dem Presshaus saßen. Nicht selten gesellten sich nach Feierabend andere hinzu – so wurden die „Köllamauna“ zu einem Symbol der dörflichen Geselligkeit. Um diese alte Tradition in einer Zeit zunehmender Beschleunigung zu betonen, wurde 2014 in Unterstinkenbrunn der sich in bäuerlicher Adjustierung präsentierende „Köllamaunachor“ ins Leben gerufen.

Über die in der Kaiserzeit beliebten Rituale der „Weinviertler Kellergesellschaften“ hat Johann Peter in seinem 1912 erschienenen Buch „Sitten und Bräuche im niederöstereichischen Weinlande“ ein lebendiges Zeugnis hinterlassen. Bis heute sind im Weinviertel Kellerpartien und -rituale beliebt. In manchen Orten wird in diesem Zusammenhang verstärkt an das im Jahreskreis gepflogene alte Brauchtum wieder angeknüpft. Am 27. Dezember gibt es spezielle Kellergebräuche im Zusammenhang mit dem „Johanneswein“ und im Jänner haben im Weinviertel von alters her die „Schlankltage“ Tradition, die in Hörersdorf, Wultendorf und Wildendürnbach neuerdings wieder zelebiert werden. Das von der UNESCO zum Immateriellen Kulturerbe erhobene „In d’ Grean geh’n“ am Ostermontag wird im Weinviertel mittlerweile wieder weitflächig praktiziert.

Sitten und Bräuche im Weinlande

Darüber hinaus hat das Weinviertler Kellerleben vielfältige Gebräuche hervorgebracht, die zum Teil in Vergessenheit geraten sind, jedoch in jüngerer Zeit beforscht und über die Literatur wieder zugänglich gemacht wurden. Dazu zählen etwa die mit der feierlichen Kellerschlüsselübergabe an die jüngere Generation verbundenen Bräuche, die Gedenkbräuche in den Kellern zu Allerseelen oder die Kellersegnungsbräuche am Heiligen Abend. Glücksverheißungsgebräuche wie das Aufstellen einer Kellerkatze auf dem Fass mit dem besten Wein oder das Eindrücken von Münzen in den Kellerschimmel sind zum Teil bis heute noch bekannt. Altbäuerliche Sitten und Gebräuche wie der Gang mit dem „Kellerzöger“ oder die Ästhetisierung des Kelleralltags mittels Zierrat wie geschnitzte Brustriegel und dergleichen sind bei einem Besuch im Weinviertler Museumsdorf Niedersulz nachzuvollziehen.

Die Bemühungen vieler Akteure um die seit Jahrhunderten bestehende Weinviertler Kellerkultur tragen erheblich zur Bewahrung von lokaler Identität bei. Bei der Instandhaltung der Bausubstanz der bejahrten Weinkeller werden alte Handwerkstechniken bewahrt und weitergegeben. Rituale, Gebräuche, sprachliche Besonderheiten und sonstige Ausdrucksformen machen auch nach außen hin das Kulturerbe ansichtig, betonen die Sinnhaftigkeit des Engagements zur Bewahrung des kulturellen Erbes und sorgen für eine weitergehende Motivierung von Personen sich dafür zu engagieren. Die Aufnahme der „Weinviertler Kellerkultur“ in das Österreichische Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes ist deshalb überaus sinnvoll.

Literaturhinweise:
Erwin Eminger: Der Protteser Weinbau in Geschichte und Gegenwart 1342–1992 (Prottes 1992)
Gerold Eßer (Hrsg.): Kulturlandschaft der Kellergassen. Erforschung – Schutz – Erhaltung (Poysdorf 2020)
Werner Galler (Hrsg.): Weinkultur im Weinviertel. Begleitheft zur gleichnamigen Ausstellung im Schloss Wolkersdorf im Weinviertel (Wolkersdorf 1984)
Johann Peter: Sitten und Bräuche im niederösterreichischen Weinlande. Nachdruck der Ausgabe Budweis 1912 (Mistelbach 1998)
Johann Werfring: Weinbräuche in Österreich (Oberwart 2021)