Eine seltene Vertikale über 49 Jahrgänge Riesling von der Ried Zöbinger Kogelberg stellte der Kamptaler Topwinzer Günther Brandl auf die Beine. Vinaria degustierte exklusiv und staunte.  

Petra Brandl mit ihrem Günter, dahinter Stefan, der Junior © Weingut Brandl

Wie zwei Kontrahenten auf der Startbahn stehen sie einander gegenüber, und wenn auch das Kamptaler Schwergewicht am berühmteren „Heiligenstein“ liegt, kann sein Vis-à-vis mindestens ebenso großartige Weine hervorbringen, die sogar in manchen Jahren die des renommierten Nachbarn überstrahlen. Speziell wenn es um die Rieslinge geht, die auf dem Südhang des Kogelbergs zur Hochform auflaufen. Dass sie in ihrem Wesen, ihrer Anmutung grundverschiedene Ergebnisse zeitigen, ist vielleicht eines der spannendsten Kapitel im Kamptal.

„Als Zöbinger Winzer nicht über den Heiligenstein zu reden, wäre wohl unvorstellbar. Aber es gibt noch eine Lage, welche mir ans Herz gewachsen ist – der Kogelberg!“ Soweit Günter Brandl im O-Ton. Und weil der engagierte Winzer demonstrieren möchte, was sich hinter dieser Aussage verbirgt, öffnet er bisweilen die Kellertüren ganz weit und offeriert großzügig einen Teil seiner über Jahrzehnte herangereiften Schätze – dieses Mal insgesamt 49 Rieslinge vom Kogelberg in einer Jahrgangsvertikale zurück bis 1969.

„Lage, die mir ans Herz gewachsen ist“

Günter Brandl ist ein begnadeter Tüftler, der als Verfechter klar strukturierter, trocken ausgebauter Weine den Fokus auf Sortencharakter und Terroir legt, die er in seinen Weinen möglichst präzise abbilden will. Naturnähe und das Entwickeln des richtigen Gspürs für seine Tätigkeiten sind beim Zöbinger alles andere als leere Schlagworte.

„Der Winzer sollte spüren, ob’s dem Weingarten gut geht, wenn er draußen ist“, merkt er an und erhebt dieses Grundverständnis zur Betriebsphilosophie. Dabei kommt ihm natürlich der Umstand, über Weingärten in einigen der besten Rieden des Kamptals zu verfügen, sehr entgegen. Eine davon ist der im Westen von Zöbing am rechten Kampufer gelegene, das Waldviertler Hochplateau verlängernde Kogelberg.

Südlich exponiert stehen die Weinstöcke auf acht Terrassen, die im Laufe eines Weinjahres beträchtlichen Temperaturunterschieden ausgesetzt sind. Sie schwanken zwischen extremer Sonneneinstrahlung bei Tag und den frischen, kühlen Brisen, welche nachts aus dem Waldviertel herabströmend die Weinreben umwehen. Zum Unterschied vom benachbarten Heiligenstein wird der Kogelberg eine Stunde früher von der Sonne bestrahlt. Er ist nicht bewaldet, sodass die nächtlichen Winde die Trauben deutlicher abkühlen können, was die Vegetation „atmen“ lässt und zu einer erhöhten Aromenanreicherung führt.

Dunkle Mineralität durch einzigartiges Terroir

Der Unterboden des Bergs besteht aus Granit und vor allem verwittertem Gneis, der gemeinsam mit dem hohen Glimmerschieferanteil die superbe, oft apostrophierte „dunkle“ Mineralität in den Rieslingen zu Wort kommen lässt. In den Terrassen stehen die Weinstöcke in halbhoher Rebkultur mit Streckererziehung für eine lockere Laubwand.

Die Ernte erfolgt mittels Vorlese und Traubenselektion, natürlich alles per Hand, in mehreren Abschnitten, um so stets vollreifes, gesundes Lesegut zu gewährleisten. Bei der Vinifikation legt der ambitionierte Weinmacher Wert auf eine möglichst schonende Behandlung des Traubenmaterials und eine längere Verweildauer auf der Maische, anschließend erfolgt ein sanftes Abpressen und eine kontrollierte Spontanvergärung mit darauf folgendem langen Hefekontakt bis hinein in den Sommer des Folgejahres.

Seit 1952 besteht das Weingut im malerischen Weinörtchen Zöbing, und nicht von ungefähr lautet auch heute noch die Anschrift schlicht „Familie Brandl“, denn was aus dem Haus an Rebensäften in den Verkauf kommt, war und ist stets das Ergebnis familiärer Zusammenarbeit.

Dafür, dass es heute noch möglich ist, Weine aus sieben Jahrzehnten miteinander zu vergleichen, ist in erster Linie Johann Brandl, der Vater des jetzigen Winzers verantwortlich. Er hat das Reifepotenzial seiner Lagengewächse schon früh erkannt und damit begonnen, eine eigene Vinothek aufzubauen. Heute hält Günter das Zepter in der Hand und führt mit seiner Frau Petra die Geschicke des Weinguts, während sich die nächste (die fünfte) Generation mit Sohn Stefan ebenfalls bereits vollumfänglich einbringt. Und wie es sich für einen veritablen Familienbetrieb gehört, sind nach wie vor auch die Eltern, Elisabeth und Johann, dessen Liebe und Aufmerksamkeit vor allem den Weingärten gilt, unterstützend tätig.

Zur Degustation über 49 Jahrgänge

Von großem Interesse waren in erster Linie die unterschiedlichen Reifestadien der jeweiligen Jahrgangsvertreter, wobei sich ganz allgemein die Weine zwischen 5 und 20 Jahren Flaschenreife als besonders attraktiv erwiesen. Hier war der optimale Trinkzeitpunkt am häufigsten anzutreffen, was freilich nicht bedeuten musste, dass es nicht auch Ausnahmen in jede Richtung gab. Eine davon fand sich in dem bereits jetzt großartig anmutenden Riesling aus 2021, eine andere in dem alles überstrahlenden 1990er, der sich in voller Frische präsentierte und zugleich ein Meisterstück in Ausgewogenheit und Finesse ablieferte.

Beeindruckend auch, wie die prononcierte Mineralität der Lage in den diversen Jahrgängen zum Ausdruck kam. Hier fiel auf, dass die mineralische Ader in den älteren Jahren zu verblassen schien und je weiter man den jüngeren Jahrgängen zustrebte, umso deutlicher erkennbar wurde. Die Gründe dafür sind vielfältig, können beispielsweise im Vergleich zu früher mit den reduzierten Erträgen in den letzten 20 Jahren zusammenhängen, oder sind vielleicht ein Ausdruck veränderter Vinifizierung. Möglicherweise sind sie aber auch eine Folge der mit längerer Reife zunehmenden Tertiäraromen, die die mineralischen Komponenten der älteren Proben ein wenig verdeckten.

Glasklarer, trockener Ausbaustil

Was hingegen ausnahmslos alle Weine miteinander verband, war der Brandl’sche glasklare, trockene Ausbaustil, dem man selbst in Jahren mit höheren Säurewerten treu bleibt. Nahezu alle Weine liegen in einem Bereich unter 4 Gramm Restzucker. Die dennoch oft anzutreffende Fruchtsüße ist somit immer das Resultat hoher Extraktdichte, wie sie in guten Jahren dank vollständiger physiologischer Reife entsteht.

Ebenfalls klar erkennbar war das durch die Bank hohe Reifevermögen der Weine, sei es in Form der in den älteren Jahrgängen anzutreffenden Zeitlosigkeit, oder im deutlich schmeckbaren, ganz enormen Ausbaupotenzial bei den jüngeren Jahrgangsvertretern, die sich anfangs oft von ihrer schüchternen Seite zeigen.

Zum Degustationssprozedere: Verkostet wurde in Dreierflights aus Universalgläsern der Denk’art-Serie von Zalto. Bewertet haben VINARIA-Redakteur Uwe Schögl und Bernulf Bruckner, der Verfasser dieses Beitrages. Von den insgesamt 49 Jahrgängen wurden im Folgenden sämtliche Weine ab einer Mindestbewertung von zwei Sternen (entspricht 14,5/20 Punkten) berücksichtigt.

 

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Die Etiketten haben sich im Laufe der Jahre verändert
Das Kellertuch erzählt von Jahrzehnten der Reife
Das schmucke Kellergebäude – Schauplatz der Degustation © Weingut Brandl
Keller-Vinothek © Weingut Brandl
© POV, Robert Herbst