Viel wird diskutiert über den eben En Primeur, also in Subskription, vorzubestellenden Jahrgang 2023 aus Bordeaux. Der Jahrgang könnte groß werden, die Preise sinken. Der Schweizer „Bordeaux-Papst“ René Gabriel erteilt den Fassproben (En Primeur) eine glatte Abfuhr, trinkt lieber reife Weine. Lesen Sie hier warum.

Fassproben verkoste ich schon seit ein paar Jahren nicht mehr. Ich habe den nachfolgenden Käufer- und Schreibergeneration Platz gemacht. Durch die immer noch guten Verbindungen weiss ich, dass der noch in den Barriques schlummernde 2023er zu den grossen Jahrgängen gehören wird. Momentan ist die Situation von einem gewichtigen Vorteil und einem nicht minder relevanten Nachteil geprägt. 

Der Vorteil: Die Bordeauxwinzer haben in den letzten Jahren viele tolle Weine produziert! 
Der Nachteil: Die Bordeauxwinzer haben in den letzten Jahren viele tolle Weine produziert! 

2015, 2016, 2018, 2019, 2020, 2022 und jetzt 2023! Eine solche Abfolge von grossartigen Jahrgängen gab es noch nie in der Geschichte rund um den Bordeauxwein. Und auch die Lancierungen schrieben Geschichte. Einsichtslos versuchten die Châteaubesitzer Jahr für Jahr das Maximum aus ihren Crus herauszuwürgen. Einzig in der Coronaphase kam es mit dem Jahrgang 2019 zu einer mässigen Korrektur. Dann wurde wieder draufgebuttert. Und jetzt folgt eine (zu) späte Einsicht. Bordeaux 2023 wird massiv billiger. Dies ist der Weltwirtschaftslage, aber auch den wiederholenden Systemfehlern geschuldet.

Viele Bordeaux-Freunde haben die Schnauze voll!

Leidtragende sind die Teilnehmer dieses Systems. Die Produzenten selbst, die Négociants in Bordeaux und die Weinhändler der ganzen Welt. Der Konsument, als letztes Glied in der Kette hat die Entscheidungsfreiheit. Viele sind müde geworden, haben die Keller und/oder die Schnauze voll. 

Bordeaux bleibt Bordeaux? Schon lange nicht mehr. Nicht wenige Châteaubesitzer haben sich Weingüter in anderen Teilen der Welt unter den Nagel gerissen. Zum Beispiel; in Kalifornien, im Burgund, in Tokaj. Gleichzeitig bieten die Bordeaux-Negociants mittlerweile über 200 Weine aus dem «Ausland» über ihre Kanäle an. Dies, um den verminderten Handel mit Bordeauxweinen zu kompensieren oder um Zusatzverkäufe zu generieren. 

Ich persönlich kaufe schon lange keinen Primeur mehr, weil ich erstens zu alt dafür bin und zweitens meine reifen Weine im Keller „Entkorkisieren“ muss. Den jüngeren Lesern empfehle ich Bordeaux 2023 zu kaufen, wenn Kellerplatz und Geld vorhanden sind. Denn – der Primeur funktionierte früher aus der Logik, dass die Subskription günstiger war wie vorhandene, im Markt befindliche Jahrgänge. Und das ist jetzt ganz deutlich der Fall.

René Gabriel