Im Vulkanland Steiermark schrillen die Alarmglocken. Die Amerikanische Rebzikade schickt sich an, als Schädling ungeheuren Ausmaßes den Weinbau zu attackieren. Eingewandert ist er über die Grenze zu Slowenien. Stefan Müller, renommierter Winzer aus Klöch, sieht darin die größte Gefahr seit der Reblauskatastrophe!

Topwinzer Stefan Müller aus Klöch, auch Obmann der Eruptionswinzer, schlägt wegen der neuen Rebkrankheit Alarm. © Weingut Müller

Erst färben sich die Blätter weißer Rebsorten gelb, jene der Rotweinreben leuchtend rot. Dabei ist es noch gar nicht Herbst. Bald darauf zeigt sich ein verzögertes Wachstum der Beeren, bis im Endstadium der ganze Stock vertrocknet. Was auf den ersten Blick hübsch aussieht, fürchten sowohl Winzer als auch Verantwortliche für Pflanzengesundheit ebenso sehr wie der Teufel das Weihwasser.

So wütet die Amerikanische Rebzikade

Die beschriebenen Symptome sind typisch für eine Rebkrankheit, die als Flavescence dorée – kurz FD – oder Goldgelbe Vergilbungskrankheit bekannt ist. Bis 2004 bei uns nur vom Hörensagen bekannt, treibt der potenzielle Überträger dieser Seuche, die Amerikanische Rebzikade (lateinisch: Scaphoideus titanus), nun auch in heimischen Weinbaugebieten sein desaströses Unwesen.

Der geflügelte Schädling ist nur einige Millimeter groß. Aber diese Zikade hat es buchstäblich in sich, nämlich das Bakterium, welches FD auslöst. Man vergleicht diesen Schädling sogar mit der Reblaus, was seine Gefährlichkeit angeht. Die Vergilbungskrankheit wird auf eine Stufe mit dem im Obstbau so gefürchteten Feuerbrand gestellt.

So gefährlich wie der Feuerbrand

Sowohl die Goldgelbe Vergilbungskrankheit als auch ihr Überträger – in der Fachsprache Vektor genannt – kommen ursprünglich aus Amerika. In den Fünfzigerjahren wurden beide nach Südwestfrankreich eingeschleppt. Von dort haben sie sich in den warmen Gegenden südlich der Alpen bis zum Balkan ausgebreitet.

Südostösterreich scheint der Zikade als Lebensraum zu gefallen, was mit der Klimaerwärmung in engem Zusammenhang stehen dürfte. Der Eindringling wandert die Flusstäler aufwärts in Richtung Norden. 2004 sichtete man den ungebetenen Gast in den südoststeirischen Weinbergen um Klöch und Radkersburg, 2008 erstmals im Südburgenland bei Bonisdorf. Wahrscheinlich hielt sich der Schädling schon länger dort auf, ohne entdeckt zu werden.

Kritischer Lebenszyklus der Zikade im Juli

Scaphoideus titanus verbringt sein ganzes Leben, vom Ei bis zum flugfähigen Insekt, am Weinstock. Die Eier überwintern in der Rinde der Rebe. Ab Ende Mai schlüpften die Larven, von denen es insgesamt fünf Stadien gibt. Jeder Lebensabschnitt dauert zwischen sieben und 10 Tagen. Anfang Juli ist das Insekt bereits flügge. Einmal infiziert, ist die Rebzikade fortan Überträger der FD, egal in welchem Stadium. Günstig für den Schädling ist ein trockener, heißer Juli. In kühlen und feuchten Sommern werden nicht alle Larvenstadien durchlaufen, was die Populationen dezimiert.

Die Bekämpfung setzt sinnvollerweise bei den Eiern an, soll gegen die Larven fortgesetzt werden und auch vor den erwachsenen Tieren nicht halt machen. Paraffinöle beispielsweise, zur Zeit des Austriebs gespritzt, können gegen die überwinternden Eier eingesetzt werden. Gegen das Insekt selbst helfen jene Mittel, die auch gegen die heimischen Artgenossen verwendet werden. 

Explosionsartige Ausbreitung

Die eigentliche Gefahr geht von den Phytoplasmosen aus, die von der Rebzikade übertragen werden. Es handelt sich dabei um sehr kleine Bakterien ohne Zellwand. Sie nisten sich in den Leitungsbahnen der Pflanzen ein, verstopfen diese und behindern so die Vitalität der Rebe bis hin zu ihrem Absterben. An einem einzigen infizierten Weinstock können mehrere Zikaden, die sich ausschließlich vom Pflanzensaft der Rebe ernähren, zu Vektoren werden. 

Somit wird klar, dass sich die Krankheit explosionsartig verbreitet, wenn ein Weingarten einmal infiziert ist. Das haben Erfahrungen in betroffenen Anbaugebieten gezeigt. Auf direktem Weg ist den Phytoplamosen nicht beizukommen, und auch der Nachweis der Infektion gestaltet sich aufwendig. Heute werden primär molekularbiologische oder immunologische Verfahren eingesetzt. 

Drastische Maßnahmen & Meldepflicht!

Wenn Infektionen festgestellt werden, sind drastische Maßnahmen erforderlich, um die Ausbreitung und damit eine wirtschaftliche Katastrophe zu verhindern. Befallene Rebstöcke mit sichtbaren Symptomen müssen sofort gerodet werden. Während die Rebzikaden durch Insektizide zu bekämpfen sind, ist bis dato weder eine Heilung der Erkrankung noch eine Bekämpfung des Phytoplasmas möglich. Auch die infizierten Tiere sind nicht kurabel.

Angesichts der enormen Bedrohung für die Weinwirtschaft versteht es sich von selbst, dass die Zikade den Behörden gemeldet werden muss, sollte sie gesichtet werden.

Höchste Gefahr, zuwenig ernst genommen

„Die Rebzikade war in steirischen Weingärten schon während der letzten Jahre präsent, aber sie wurde von etlichen Winzern zu wenig ernst genommen“, erläutert Stefan Müller. Es wurde zu wenig gespritzt, infizierte Rebstöcke wurden mangels regelmäßiger Kontrollgänge nicht entdeckt und deshalb nicht gerodet. So ist ein großer Infektionsherd entstanden, der die Existenz einer ganzen Branche gefährdet. 

Verwilderte und ungepflegte Anlagen sind ein besonderes Problem. Befeuert wurde die Verbreitung im Vulkanland möglicherweise durch fehlenden Pflanzenschutz bei einigen Winzern sowie durch aufgelassene, nicht gerodete Rebanlagen – ein Paradies für Schädlinge, wo sich diese in aller Ruhe massenhaft vermehren können. Konventionell wirtschaftende Betriebe können mit systemischen Präparaten arbeiten, für biologisch bewirtschaftete Weingärten sind diese jedoch verboten.

Gesetzliche Maßnahmen umgehend notwendig

Rund 30 Kilometer südlich von Klöch, in Slowenien, sind etwa 30 Prozent aller Weingärten befallen. Die Zikaden fliegen Richtung Norden, den Erreger im Gepäck. Weil der Zuflug nicht unterbunden werden kann, müssen Insektizide gespritzt werden. Ganz perfide ist die Tatsache, dass Rebstöcke, die bereits infiziert sind, aber noch keine Symptome zeigen, als brandheiße Infektionsherde in den Weingärten verbleiben.

Da die Rebzikaden nun zu fliegen beginnen, ist buchstäblich Feuer am Dach.