Die auf Ernährungsthemen spezialisierte Trendforscherin Hanni Rützler gibt mit ihrem 10. Food Report 2023 Orientierung im Nach-Corona-Gastro-Alltag. Neben drei Mega-Trends geht die Ernährungswissenschaftlerin drei Themenschwerpunkten nach. 

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Parallel zum Regional- und Lokal-Trend beobachtet Hanni Rützler eine zunehmende Internationalisierung unserer Essgewohnheiten. Längst gehe es nicht mehr darum, möglichst authentische "fremde Küchen" zu erleben, Sushi oder Samosas in den kulinarischen Alltag zu integrieren oder möglichst exotische neue Spezialitäten zu entdecken. Inzwischen mache sich eine Lust breit, Küchenstile und -traditionen sowie verschiedenste Zutaten und Zubereitungsarten zu vermischen – zu "fusionieren". Die Generation Z holt sich laut einer Studie aus dem Jahr 2020 ihre kulinarischen Anregungen aus den Social-Media-Kanälen – eine Welt ohne Landes- oder Sprachgrenzen.

Der Nobel-Nische entwachsen

Die Küche ist digital: In Großbritannien holen sich die Menschen zu je rund 20 Prozent Ideen aus Facebook, Instagram, Youtube, TikTok – wohlgemerkt noch zu Beginn von zwei Jahren Pandemie. Angesagte Rezepte verbreiten sich in Echtzeit, gemixt wird, was gefällt. Der Trend: Fusion is the New Normal.

„Plant-based Food ist einer der wichtigsten Food-Trends unserer Zeit“

In den 1980er- und 1990er-Jahren sei Fusion Food in erster Linie ein von SpitzenköchInnen getragener Gastro-Trend gewesen, bei dem sich die High-End-Küche Inspirationen aus fernöstlichen Küchen, vor allem Japan und Thailand, holte und "fusionierte" Gerichte entwickelte. Heute sei der Mix der kulinarischen Kulturen gelebter Alltag: "eat global, buy local".

Themenschwerpunkt Meat

Fast 50 Seiten widmet der Food Report dem Thema Fleisch und alternative Proteine. Fleisch, so Rützler, verliere nämlich seine Rolle als Leitprodukt unserer Esskultur – zumindest in den Visionen innovativer Lebensmitteltechnologen, Investoren und im von Vegan-Verfechtern dominierten Diskurs um "richtige" Ernährung, erläutert Hanni Rützler: "Plant-based Food hat sich zu einem der wichtigsten Food-Trends unserer Zeit entwickelt und ist längst nicht mehr nur für VegetarierInnen und VeganerIinnen interessant."

Neben pflanzenbasierten Produkten bereicherten weitere Alternativen die Auswahl, die Fleisch und Fisch in Geschmack und Textur immer ähnlicher werden. "Alt-Protein" und "Cell-cultured Food" – die neuen Buzzwords der Lebensmittelindustrie und Food-Innovatoren. Zugrunde liege ein heroisches Narrativ: "Die Schlacht zur Rettung des Planeten wird auf den Tellern gewonnen."

Alt-Protein stehe dabei nicht nur für Lebensmittel, die ohne Tierzucht auskommen, sondern erweise sich als Treiber einer Revolution der Fleisch-, Milch- und Fischindustrie mit Wirkung auf die weltweite Landwirtschaft, die sich nachhaltiger aufstelle. Die Frage laute nicht mehr, ob wir in Zukunft Fleisch essen, sondern vielmehr, welche Art von Fleisch.

Brutaler Run um Marktanteile

Dass nahezu jeder Betrieb der Gemeinschaftsgastronomie auch fleischlose Menüs anbietet, habe enormen Einfluss, so die erfahrene Beobachterin der internationalen Entwicklung: Gemüsegerichte statt Schnitzel oder Wildfanggarnelen, kreative Zubereitungen belegten den Ehrgeiz, auch Karnivoren weder Fleisch noch Fisch vermissen zu lassen.

Der Run um Marktanteile ist in vollem Gange. Dies zeigten die quasi täglichen Neuerscheinungen alternativer Produkte sowie die wachsende Vielfalt der Zutaten. Soja etwa sei längst nicht mehr die wichtigste Basis von Milch- und Fleischersatz, sondern alte Bekannte wie Erbsen oder Lupinen sowie Weizen, Hafer, Kartoffeln, Pilze, Algen oder auch Kichererbsen und Jackfrucht sowie Präzisionsfermentation als Verfahren. Studien belegen weltweit Milliarden-Investitionen in pflanzliches und kultiviertes Alternativfleisch.

Die Treiber fleischloser Ernährung diversifizieren sich, beobachtet der Food Report 2023: Gesundheit, Tierliebe, Klimakrise. Seien es zunächst vor allem MedizinerInnen, ErnährungswissenschaftlerInnen und Gesundheitsorganisationen gewesen, die aus Gesundheitsgründen eine Reduktion des seit den 1960er-Jahren massiv gewachsenen Fleischkonsums forderten, werden laut Rützler mehr und mehr ethische Argumente gegen den Verzehr tierischer Produkte ins Feld geführt.

Ökologische Grenzen, ehtischer Widerstand

Die industrielle Massentierhaltung und Futtermittelproduktion stießen ökologisch an ihre Grenzen und ethisch auf Widerstand. Eine Erkenntnis, die mittlerweile in der Politik nicht nur Gehör finde. Erste regulierende Schritte für eine ökologische Agrarwende seien zu beobachten. So hat sich die neue deutsche Bundesregierung auf ein verbindliches Tierwohl-Label geeinigt, das Haltung, Transport und Schlachtung umfasst. Die Produktion von Fleischalternativen soll gefördert und Landwirte sollen beim Umbau hin zu artgerechter Tierhaltung unterstützt werden.

Flexitarier & Co: Zielgruppe für Fleischloses wächst

Das Zielpublikum für tierfreie Lebensmittel beschränke sich dabei nicht nur auf strikte VeganerInnen, sondern vor allem FlexitarierInnen, SubstitarierInnen und Real Omnivores – Fleischliebhaber. Besonders großer und breiter Beliebtheit erfreuten sich Milch-Ersatzprodukte wie Hafer- oder Sojamilch und nichttierische Fleisch- und Wurstwaren. Akzeptiert seien auch Joghurt auf Basis von Soja, Kokos oder Lupinen sowie pflanzliche Käse-, Butter- und Sahne-Alternativen. Am seltensten landen bisher Ei-Ersatz und pflanzliches Seafood auf den Tellern.

Food Report 2023 & Trendglossar
Mit dem Food Report 2023 legt Hanni Rützler ihren 10. wissenschaftlich fundierten Überblick vor, reich an tief recherchierten Fakten, aufschlussreichen Grafiken und aktuellen Trendanalysen. Ein Füllhorn an Tools und Entscheidungshilfen für alle Segmente des Außer-Haus-Marktes. Dazu erscheint ergänzend ein Glossar, das sämtliche Foodtrends der neun bisherigen Reports seit 2014 in Kurzform zusammenfasst – als Rückschau und vollständiges Bild einer inspirierenden kulinarischen Zeitreise.

Quelle: www.food-service.de