Wie ein Kartenhaus bricht die Klassifikation von Saint-Émilion im Bordelais zusammen: Die im September 2022 zu erneuernde Klassifikation verliert ihre prominentesten Mitglieder: Nach Cheval Blanc, Ausone und Angelus zieht sich nun das Premier Grand Cru Classé Château La Gaffelière aus dem Verfahren zurück.

Schloss La Gaffeliere © Shutterstock

La Gaffelière-Besitzer Alexandre de Malet Roquefort sagte gegenüber der französischen Weinzeitschrift „Terre de Vins“: „Bei der Bewertung unseres Dossiers wurde die Qualität unseres Terroirs ausdrücklich in Frage gestellt, obwohl es sich seit Tausenden von Jahren nicht verändert hat und die Konfiguration praktisch dieselbe ist - bis auf 60 Ar, die der Weißweinproduktion gewidmet sind - wie bei der letzten Klassifizierung im Jahr 2012! Was die Verkostung betrifft, wurden wir offenbar von Amateuren beurteilt, die einen Jahrgang wie 2013 besser bewerteten als 2018 oder 2019. Das ist zu viel."

Von Amateuren beurteilt – jetzt reicht’s!

Die Entscheidung, sich aus der Klassifizierung zurückzuziehen, wurde im Kreise der Familie getroffen: "Ich habe mich mit meinen Geschwistern beraten und wir waren uns einig, dass wir uns nicht mit Leuten anlegen sollten, die 1.600 Jahre Geschichte ignorieren. Das Terroir von La Gaffelière auf dem Kalksteinplateau von Saint-Émilion ist seit der gallo-römischen Zeit bekannt und anerkannt!“ Somit verbleibt nur noch Château Pavie als Premier Grand Cru Classé übrig.

Als einzige Appellation klassifiziert Saint-Émilion alle zehn Jahre neu

Die Weingüter von Saint-Émilion unterliegen als einzige Appellation im Bordelais einem rotierenden System und werden alle zehn Jahre neu klassifiziert. Alle anderen Appellationen haben eine fixe Einteilung, die nur „alle heiligen Zeiten“ geändert oder ergänzt werden kann; in der Regelist dafür die oberste französische Agrarbehörde oder direkt das Landwirtschaftsministerium zuständig.

Die Einstufungfür 2022 in Saint-Émilion sorgt seit einem Jahr für Unruhe und sogar Gerichtsstreitigkeiten. In einem dieser Verfahren samt aufsehenerregendem Gerichtsprozeß faßte Château Angélus-Mitbesitzer Hubert de Boüard eine hohe Geldstrafe aus. Im Oktober 2021 verurteilte ein Gericht in Bordeaux de Boüard. Hintergrund war die Klassifizierung 2012 in Saint-Émilion. Der Vorwurf lautete, dass de Boüard als Mitglied in für die Klassifikation verantwortlichen Gremien Eigeninteressen verfolgt habe. 2012 erlangte Château Angélus den Status als Premier Grand Cru Classé A. Auch andere Weingüter, bei denen de Boüard als Berater wirkte, schnitten in dem Jahr gut ab.

De Boüard wehrte sich gegen die Vorwürfe, er habe stets im kollektiven Interesse gehandelt. Die Gerichtsentscheidung habe Château Angélus nun darin bestärkt, sich von der Klassifikation abzuwenden. Das System werde den Anforderungen des eigenen Betriebs und der Appellation nicht mehr gerecht. „Wir steigen aus einem Verfahren aus, dessen Nachhaltigkeit nicht mehr gewährleistet scheint und dessen Vorteile die Risiken ungerechter Anschuldigungen nicht mehr aufwiegen“, erklärte dazu Stéphanie de Boüard-Rivoal, Präsidentin von Angélus und Tochter von Hubert de Boüard.