Jetzt taut’s: Was vor 30 Jahren noch kaum vorstellbar schien, nimmt immer mehr Gestalt an. In den nördlichen Ländern Europas wird zunehmend Wein angebaut.

Nun, ganz so extrem wie im Animationsfilm „Jetzt taut´s“ ist die Klimaerwärmung zum Glück nicht. Aber immerhin hat sie dazu geführt, dass in kalten Ländern wie Dänemark, Schweden und Norwegen Wein angebaut wird, marginal auch in Finnland. Es tut sich in dieser Hinsicht einiges, wie das wissenschaftliche Personal von DMI (Danmarks Meteorologiske Institut) bestätigt.
Sehen wir uns den meteorologischen Wandel am Beispiel Dänemark an. Der dänische Sommer ist in den vergangenen 30 Jahren um knapp ein Grad wärmer geworden als in der Periode von 1961 bis 1990. Alle Kälterekorde hingegen liegen vor 2000. Der Dezember 1981 ging als kältester jemals gemessener Dezember in die dänische Geschichte ein.
Dänemark liegt zwischen der Nord- und der Ostsee, das Wetter wird von diesen beiden Gewässern beeinflusst. Das Klima ist gemäßigt maritim, die Winter sind mild, die Sommer mit Temperaturen zwischen 15°C und 22°C verhältnismäßig kühl. Der wärmste und zugleich regenreichste Landesteil ist die in der Ostsee gelegene Region Seeland. Die Klimatabellen weisen 1.830 Sonnenstunden pro Jahr aus, davon entfallen rund 1.600 auf die Monate März bis Oktober, also die Vegetationsperiode. Die durchschnittliche Niederschlagsmenge liegt bei 558 Litern per Anno.
Zum Vergleich: Im langjährigen Schnitt wurden in der Wetterstation im südsteirischen Leibnitz 1.580 Sonnenstunden für diese Monate ermittelt, im Jahr 2018 waren es 1.791. Die Niederschlagsmenge liegt bei rund 850 l/a im Schnitt.
Meteorologischer Wandel
In der Region Seeland betragen die durchschnittlichen Maximaltemperaturen Im Sommer rund 22 °C, in Leibnitz 26 Grad. Das hat einen Einfluss auf die Photosynthese; mehr dazu später. Die Küstengebiete Südschwedens gehören zur warm-gemäßigten Klimazone. Sie sind hinsichtlich Sonnenstunden und Niederschlag mit dem dänischen Seeland vergleichbar. Von den drei nordischen Ländern wächst der Weinbau in Schweden am schnellsten.
Auch in Norwegen ist Weinbau möglich. Kleine Weingärten finden sich in Regionen, die sonnig, warm und trocken sind, zum Beispiel in Asker am Oslofjord, in der Telemark und in Südnorwegen. Wegen des Golfstroms ist an manchen Fjorden das Mikroklima vergleichsweise mild. Insgesamt gibt es gut 20 hauptberufliche Weinbauern sowie rund 100 Winzer im Nebenerwerb.
In geringem Umfang wird im Süden Finnlands sowie auf den Åland-Inseln Weinbau zu Versuchszwecken betrieben. Hier überleben (noch) nur frostharte Neuzüchtungen.
Viel Sonne während der Vegetationsperiode
Ohne Photosynthese ist Wachstum in grünen Pflanzen nicht möglich. Bei diesem biochemischen Vorgang wird Lichtenergie mit Hilfe von lichtabsorbierenden Farbstoffen wie Chlorophyll in chemische Energie umgewandelt. Die Sauerstoffproduktion ist ein Maß für die Photosyntheserate, also die Intensität, mit der dieser Prozess abläuft.
Schon 1884 stellte der spätere Nobelpreisträger Jacobus van´t Hoff einen Zusammenhang zwischen Reaktionsgeschwindigkeit (RG) und Temperatur (T) fest. Letztere bestimmt, wie gut die enzymatischen Prozesse im Zellinneren ablaufen. Die RGT-Regel besagt, dass die Geschwindigkeit einer biochemischen Reaktion um das Zwei- bis Dreifache zunimmt, wenn die Temperatur um 10 °C erhöht wird.
Ein weiterer Faktor ist die Lichtintensität. Die Photosyntheserate steigt proportional zu dieser physikalischen Größe. Ab einer bestimmten Lichtintensität kommt es zu einer Sättigung. Das heißt also, dass in den weinbautreibenden Nordländern die vielen Sonnenstunden einen positiven Effekt haben, die im Vergleich zu klassischen Herkünften niedrigeren Maximaltemperaturen während der Vegetationsperiode wirken dämpfend.
Potenzial für Piwi-Rebsorten
Es liegt auf der Hand, dass frostempfindliche Rebsorten für die Nordländer ebenso wenig geeignet sind wie solche, die extrem viel Sonne und lange, warme Vegetationsperioden benötigen. In Dänemark sind viele Varietäten zugelassen, wie Chardonnay, Kerner, Auxerrois, Pinot Meunier, Pinot Noir oder Piwis à la Solaris oder Cabernet Cortis.
Die schwedische Landwirtschaftsuniversität sieht ein enormes Potenzial für Winzer in Schweden, und zwar dank des milder gewordenen Klimas in Verbindung mit Piwi-Rebsorten. Auch in Norwegen setzt man auf die pilzwiderstandsfähige Neuzüchtung Solaris, obwohl Oidium und Peronsopra überhaupt kein Problem darstellen. Insgesamt sind rund 30 Traubensorten für Wein registriert.
Das Weinbaugebiet Dänemark
Seit August 2000 ist Dänemark als Weinanbaugebiet von der EU anerkannt. Mit dem Jahrgang 2007 durften am Etikett erstmals Region, Jahrgang und Rebsorte angeführt werden. Anbaugebiete mit geschützter Ursprungsbezeichnung sind Bornholm, Fünen, Jütland, Seeland und Dons, letzteres ab 2018 für Wein aus dem gleichnamigen Ort in Almind Sogn bei Kolding. Auch Schweden ist bereits seit 1999 offiziell EU-Weinland. Selbst Finnland stellte schon 2007 einen Antrag, diesen Status von Brüssel zu erhalten.
Klimazyklen im 1000-Jahre-Rhythmus
So ganz neu ist Weinbau in nördlichen Regionen nicht. Im Mittelalter gab es ein sogenanntes Klimaoptimum mit einem Temperaturmaximum um etwa 1000 nach Christi. Es war im Durchschnitt um 1 bis 2 °C wärmer als in der nachfolgenden Kälteperiode. In den deutschen Mittelgebirgen wurde im Hochmittelalter bis auf knapp 1.300 m Seehöhe Wein angebaut. Sogar in Südschottland wurden damals Reben kultiviert.
Solche Kalt-Warmphasen treten mit einer Periodendauer von rund 1.000 Jahren auf, wie Eiskern-Analysen in Grönland und in der Antarktis belegen. Nachweisbar ist dieses Phänomen seit mindestens 9.000 Jahren. Um Christi Geburt herrschte das Römische Klimaoptimum, 1.000 Jahre davor die Minoische Warmzeit. Die Temperaturminima dazwischen führten zu Völkerwanderungen in wärmere Gegenden und zu Hungersnöten. Um etwa 500 vor Christi machten sich die Kelten auf den Weg, 1.000 Jahre später die Goten. Um 1500 bis 1600 nach Christi wüteten Hungersnöte in Europa.
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