Vinaria Autor und Doyen des Verkosterteams Viktor Siegl hat sich in die Geschichte des Wiener Gemischten Satzes vertieft und diese analysiert: Vom einfach Schankwein zur gefeierten Neuentdeckung. Eine Hommage an diese Weine.

Ried Preussen © Herbert Lehmann

Im Wien der Kaiserzeit und in den Zwischenkriegsjahren war es selbstverständlich, auch die besten Lagenweine aus einem Gemischten Satz zu gewinnen; dieser wurde und wird im Gegensatz zur bekannten Cuvée aus verschiedenen Rebsorten gekeltert, die schon im Weingarten gemischt aus­gepflanzt sind und dann gemeinsam geerntet und gepresst werden. Ein Verfahren, wie es in den öster­reichischen Weinbaugebieten für die Erzeugung von Weißweinen bis in die Siebzigerjahre gang und gäbe war, ohne dass damit zumeist höhere Qualitätsansprüche angestrebt wurden.

Von alters her wurden in Österreich speziell die Weißweinreben gemischt gezogen, wobei manchmal einzelne Reihen sortenrein ausgepflanzt wurden, mit­unter aber auch innerhalb einer Rebzeile muntere Abwechslung herrschte. Dementsprechend schwierig gestaltete sich die Lese, wenn man eine einzelne Rebsorte heraussuchen wollte, was aber für diese in der damals üblichen Stockkultur angelegten Rebflächen eben die Ausnahme bildete.

Folgerichtig war es auch kaum möglich, eine Rebsorte, die einmal nicht den gestellten Erwartungen entsprach oder einen anderen Vegetationszyklus gehabt hatte, anlässlich der Ernte zu eliminieren, da eine derartige Maßnahme eine bestens geschulte Lesemannschaft und einen unverhältnismäßigen Arbeitsaufwand bedeutet hätte.

Dieser vorgegebene Verzicht auf solche Lenkungsmaßnahmen bildet eben den signifikanten Unterschied zum üblichen Blending, mit dem sortenrein gelesene Jungweine wieder in einem sinnvollen Verhältnis zusammengefügt werden, wie es für so manche berühmte Rotwein­herkünfte, etwa Bordeaux und Chianti, üblich ist.

Von den Vorzügen des gemischten Allerleis

Wenn zuvor die Nachteile dieser Form der Reberziehung und -verarbeitung aus heutiger Sicht beleuchtet wurden, so sollen nun die Vorteile angeführt werden, die Winzer früherer Generationen zu dieser Methode bewogen haben.

Im Vordergrund stand vermutlich der Gedanke, in Zeiten, in denen Pflanzenschutz und Schädlingsbekämpfung noch weit schwerer als heutzutage zu realisieren waren, über die Jahre hinweg einigermaßen kontinuierliche Ernteerträge zu erreichen. Dies wurde über eine Risiko­streuung versucht, die gleichsam eine frühe Form einer bäuerlichen Versicherung gegen die Unwägbarkeiten von Witterung und Schädlingsbefall darstellte, wie wir sie auch aus anderen agrarischen Anbauformen kennen.

Wenn in einem Jahrgang mit hohem Fäulnisdruck zum Beispiel einmal der Rote Veltliner oder Neuburger zum Teil oder zur Gänze ausfiel, hatte man immer noch relativ resistente Sorten wie etwa Riesling oder Traminer in der Hinterhand. Auf der anderen Seite wurden diese vorwiegend auf ein vernünftiges Mengen­denken gerichteten Überlegungen auch um qualitative Aspekte ergänzt, die freilich den erwähnten Maßnahmen mehr oder weniger immanent sind.

Bei den qualitätsorientierten Produzenten – und hier kommen erstmals die spezifischen Wiener Traditionen ins Spiel – wurde auch das Ziel verfolgt, allzu starke Jahrgangsschwankungen im Sinne eines gewissen Mindestniveaus zu vermeiden. Durch die Zusammensetzung des Gemischten Satz sollten jedoch auch Terroir und Handschrift des Winzers im Sinne eines frühen Markenbewusstseins zum Ausdruck kommen.

Die nach Berichten von Zeitzeugen überaus dichten und kernigen Weine aus der Stockkultur in den Wiener Fluren wurden selbstverständlich aus Gemischtem Satz gekeltert, wobei das Herkunfts- und Lagendenken im Vordergrund stand: Verlangt wurde von den Wiener Weinbeißern ein Nussberger, ein Grinzinger oder Sieveringer, wobei durchaus auch einzelne Rieden, wie die Preussen im Zentrum des Nussbergs, die bereits 1501 urkundlich erwähnt worden war, eine Rolle spielten.

5 x Großes Gold bei Weltausstellung Paris 1899

Bei der Pariser Weltausstellung 1899 errangen beispielsweise die Wiener Weingüter Armbruster-Mandl und Küras­sier-Hengl mit ihren Gemischten Sätzen vom Nussberg jeweils eine Große Goldmedaille. Wie der seinerzeitige Wiener Weinbaudoyen Franz Mayer einmal erzählte, war etwa der Nussberger Gemischte Satz des in den Dreißigerjahren führenden Heurigen Westermayer derart beliebt, dass die Erntemenge nur kurze Zeit reichte, und das, obwohl ein Viertel so viel kostete wie ein dreigängiges Menü in der Innenstadt. Was für ein Beweis für das Selbstbewusstsein der Wiener Weinbauernschaft und die Wertschätzung, die ihre Produkte damals offenbar zu Recht genossen!

Nach dem Zweiten Weltkrieg war übrigens die Herkunft im Bewusstsein der Weinfreunde wesentlich stärker ver­ankert als die Einstufung nach Zuckergradationen und Bezeichnungen wie Kabi­nett, Spätlese oder Auslese, sodass in den Weinhäusern und Gaststätten bis in die Siebzigerjahre primär ein Nuss­berger, Heiligensteiner, Brünnerstraßler oder Ruster verlangt wurden, während die Reifestufe, zum Großteil aber auch die Rebsorte eher Nebensache waren.

Frostkatastrophe brachte Trendwende

Eine Trendwende wurde höchstwahrscheinlich schon mit der nach der Frostkatastrophe von 1956 rasch die Oberhand gewinnenden, die Arbeit im Weingarten ungemein erleichternden Hinwendung zur Hochkultur eingeleitet. Aber auch legistische Schritte und die Aufklärungsarbeit der Weinbauschulen trugen dazu bei, den sortenreinen Anbau zu forcieren.

Vermutlich sollten diese Maßnahmen in erster Linie die Konsumenten vor minderwertiger Ware schützen und die Weinqualität schrittweise anheben, wobei vor allem zwei prinzipielle Probleme des heimischen Weinbaus zu lösen waren, nämlich die durch sprunghafte Ausweitung der Rebflächen in den Sechziger­jahren drohenden strukturellen Überschüsse und die von Jahr zu Jahr stark schwankenden Erntemengen.

Der Gemischte Satz als Wiener Phänomen

Ausgehend von den historischen Fakten ist es nötig, sich von der speziell bei der jüngeren Generation von Weinfreunden lieb gewonnenen Legende zu trennen, nach der der Gemischte Satz angeblich eine ureigene Wiener Erfindung war, die nun nach vielen Jahren des Dorn­röschenschlafs von findigen Winzern und Marketingexperten wiederentdeckt wurde.

Tatsächlich war diese Methode der Bewirtschaftung in ganz Wein-Österreich die mit Abstand üblichste: So waren nach der Weingartenerhebung 1969 beispielsweise im Burgenland von 11.124 Hektar Rebfläche 3.790 Hektar im Gemischten Satz bestockt, was mit Riesenabstand den Spitzenplatz gegenüber dem zweitplatzierten Welsch­riesling bedeutete.

In den anderen Bundesländern war die Situation ähnlich. In Wien war zum Beispiel fast die Hälfte der Weinbaufläche im Gemischten Satz ausgepflanzt. Wie entscheidend sich die Dinge in Österreich seither verändert haben, belegt die Tat­sache, dass in sämtlichen damaligen Statistiken die heute mit Abstand häufigste Rotwein-Rebsorte, nämlich die Zweigelt-Rebe, aufgrund ihrer Bedeutungslosigkeit überhaupt noch nicht aufscheint.

In der Folge wurde dann der Gemischte Satz Jahr für Jahr zurückgedrängt, sodass nach den jüngsten statistischen Erhebungen österreichweit nur mehr rund 671 Hektar oder 1,4% der Rebfläche darauf entfallen. Mit der Hinwendung zur Hochkultur und Sortenbereinigung wie auch dem weitgehenden Ausmerzen des Gemischten Satzes war zweifellos die sinnvolle Überlegung verbunden, lieb gewonnene Massenträger ohne qualitativen Anspruch zu entfernen.

Rebsorten, die die Welt nicht braucht wie Grauer Portugieser, Brauner Veltliner oder Gutedel fielen diesem Kahlschlag freilich ebenso zum Opfer wie Grüner Sylvaner, Neuburger oder Österreichisch Weiß, die mit dem nötigen Know-how durchaus interessante Tropfen ergeben können und auch den seinerzeitigen Mischsätzen mitunter ihren Charakter verliehen haben.

Nostalgie, Marketing-Gag oder Bereicherung

Nach Jahren der Stagnation und Ratlosigkeit sämtlicher Beteiligter, wie dieser abzuhelfen wäre, hat sich in der Weinszene in den vergangenen fünfzehn Jahren vieles zum Besseren gewandt, und dies mit einer Rasanz und zählbaren Erfolgen, die auch die einstigen Pessimisten rasch überzeugen konnten.

Dass aber gerade die Renaissance des Gemischten Satzes entscheidend zu dieser positiven Entwicklung beigetragen hat, ist die eigentliche Sensation.

Während in der ganzen Weinwelt durch Rodungsprämien und ähnliche Maß­nahmen die Stilllegung von Weinbau­flächen gefördert wird, haben die Stadt Wien und die Wiener Landwirtschaftskammer schon frühzeitig ein Förderungssystem entwickelt, nach dem Prämien für das Aussetzen von Weinreben bezahlt werden, sofern diese Neu­anpflanzung innerhalb geschlossener Rebflächen erfolgt und eine dreijährige Brachezeit der gerodeten Rebfläche abgewartet wird, wobei es sinnvollerweise für qualitativ besser bewertete Reb­sorten eine höhere Unterstützung als für andere gibt.

Aufgrund dessen konnte die schon bedrohlich verminderte Rebfläche wieder angehoben werden und hat nunmehr mit 637 Hektar einen soliden Bestand erreicht. Der Wiener Weinbau erstreckt sich im Übrigen über sechs Bezirke mit den drei Zentren rund um den Bisamberg, den Döblinger Weinfluren und den Weinbergen in Mauer sowie den drei winzigen Enklaven in Dornbach, Ottakring und Oberlaa.

Wenn auch immer wieder davon gesprochen wird, dass die Wiener Wein­gärten durch Immobilienspekulation bedroht würden, so erscheint diese Gefahr durch die Erklärung der Wiener Weinberge zu besonderen Schutzzonen, in denen strenges Bauverbot herrscht, an sich behoben.  Abgesehen von den flankierenden Maßnahmen der Stadtpolitik haben auch einige private Investoren, die zum Teil mit großem Einsatz in das Wiener Weingeschehen eingestiegen sind, zur Wiener Erfolgsstory beigetragen.