Während Marketingstrategen den Wein geradezu in akademische Sphären entrücken, wurde von der ausgehenden Habsburgermonarchie bis zur Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg mit seiner Wirkung als Rauschmittel groß Propaganda gemacht.

In der ausgehenden Habsburgermonarchie entdeckte die heimische Weinwirtschaft die Postkarte als probates Propagandamittel und es wurde Brauch, diese aus Heurigenorten zu versenden. Während heutzutage bei der Vermarktung des Weins die möglichen Wirkungen des Alkohols oft ausgeblendet werden, kam es dazumal in Mode, gerade den berauschenden Effekt des Rebensafts zu betonen. 

Rasch kristallisierte sich für die in Massen produzierten „Ansichtskarten“ ein fixes Inventar heraus: Stereotyp zeigen die Karten sturzbetrunkene Heurigengäste bei ihrer Heimkehr vom Heurigen. Neben den Zechern scheinen auf den Karten stets wankende Gebäude auf – nicht selten schmunzelt hinter dem geknickten Kirchturm ein Mondgesicht hervor. Und in vielen Fällen krallen sich „abgefüllte“ Heurigenheimkehrer an gebogenen Straßenlaternen fest.

Sturzbetrunkene Heurigengäste bei ihrer Heimkehr

Die hier abgedruckten Karten tragen, wie es für diese Art von Scherzkarten üblich gewesen ist, jeweils knappe Aufschriften, mit denen man den Adressaten ein Lächeln auf die Lippen zu zaubern gedachte. Die Grußkarte mit den Versen „Nach Grinzing hinaus, / is recht schön und nett, / Ober das Z’ruckgeh’n / Bruader is halt a G’frett.“ weist eine Briefmarke mit dem Konterfei Kaiser Franz Josephs I. auf und wurde seinerzeit nach Budapest versandt. 

Die Karte mit der Aufschrift „I kumm aus Grinzing mit an klan winzigen Affen nach Haus!“ wurde laut Poststempel auf der mit „Deutsches Reich“ gekennzeichneten Briefmarke am 17. Juni 1939 expediert. Im Textfeld ist zu lesen: „Lieber Herr Neumann, um Sie an das schöne Wien zu erinnern, sende ich Ihnen von hier recht freundliche Grüße. Gleichzeitig nochmals für alle Damen und Herren: Der Heurige schmeckt ausgezeichnet. Heil Hitler – Gertrut Weiß.“ 

Grinzinger Rauschkarten mit großer Beliebtheit

Im „Dritten Reich“ scheinen „Rauschkarten“ aus Grinzing überhaupt eine gesteigerte Beliebtheit gehabt zu haben. Eine derartige, mit 7. Oktober 1941 datierte „Rauschkarte“ mit der Aufschrift „Feuchtfröhliche Grüße aus Grinzing“ wurde nach Linz sogar per Feldpost abgeschickt, und zwar von einem Soldaten, der das Lazarett am Cobenzl als Absenderanschrift anführte.

Die dritte hier präsentierte Karte mit der auch bei anderen Rauschkarten-Motiven verwendeten Aufschrift „Ich hab’ mir für Grinzing / Einen Dienstmann engagiert“ dürfte aus den 1930er-Jahren stammen. Es handelt sich bei dieser Aufschrift um den Titel eines von Fritz Rotter (1900–1984) komponierten Wienerliedes, das in einer originellen Audioaufnahme des unvergesslichen Volksschauspielers und -sängers Hans Moser (1880–1964) erhalten geblieben ist. 

Sehr deutlich wurde mit dieser heiteren Post aus Grinzing nachvollziehbar gemacht, wie es zu fortgeschrittener Stunde in den Waggons der Straßenbahnlinie 38 zugehen konnte, die von den Wienern von alters her „Heurigenexpress“ genannt wird. Überregional bekannt wurde diese Straßenbahnlinie durch das Marschlied „Heut kommen d’ Engerln auf Urlaub nach Wean“, dessen Text von Franz Josef Hub (1904–1955) und dessen Musik von dem bedeutenden Wienerlied-Komponisten Franz Ferry Wunsch (1901–1963) verfasst wurde.

Publikumsliebling Peter Alexander im Heurigenexpress

Eine herrliche (auf youtube unter www.youtube.com/watch?v=fKFh2i6Gl9k abrufbare) filmisch verewigte Interpretation des Liedes stammt von dem österreichischen Sänger, Schauspieler und Publikumsliebling Peter Alexander, der in dem Streifen gemeinsam mit sechs kessen „Engerln“ mit dem „38er“ singend und tanzend in Grinzing eintrifft. Peter Alexander spielt in dem beschwingten Film zugleich den Fahrer wie auch den Schaffner vom Heurigenexpress. 

Die Grinzinger Ortskirche mit ihrem markanten Turm ist für das Umland von Wien ein besonders wiedererkennbares Motiv, weshalb solche Rauschkarten sogar ohne Aufschrift dem Heurigenort Grinzing hätten zugeordnet werden können. Rauschkarten mit Abbildungen von lokalen Sujets als wiedererkennbare Motive hatte es auch in anderen Weinorten gegeben, etwa in Pfaffstätten oder in Gumpoldskirchen. Auch aus deutschen Weingegenden sind solche Artefakte erhalten. Aus Grinzing wurden sie, wie der schwungvolle Antiquariatshandel verdeutlicht, besonders häufig verschickt.

 

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Grinzinger Rauschkarte mit sturzbetrunkenen Heurigengästen und abfahrendem „38er“ alias „Heurigenexpress“, undatiert. © Sammlung Johann Werfring
Ein typisches Markenzeichen der Grinzinger „Rauschkarten“ von anno dazumal ist der „wankende“ Turm der Pfarrkirche an der Himmelstraße. © Sammlung Johann Werfring
Johann Werfing: Weinbräuche in Österreich. edition lex list 12, reichlich illustriert, 311 Seiten, Preis: 34 Euro. Bezug im Buchhandel sowie unter www.morawa.at bzw. www.lexlist12.at © Johann Werfing