Der Klimawandel treibt den Weinbau immer weiter nach Norden (geografisch) und in die (See)Höhe. Englischer Schaumwein ist mittlerweile salonfähig und die Polen sind stolz auf ihre ersten Weine. In Österreich dürfte das aus fünf Bundesländern zusammen gewürfelte Weinbaugebiet Bergland für Furore sorgen.

Fast europaweit steckt der Weinbau wegen sinkender Nachfrage und vernachlässigter Agrarreform in einer strukturellen Krise. Jedoch bietet die Krise der Klimaerwärmung in einigen Grenzgebieten eine Chance, jahrhundertelang vergessene Weinbauflächen wiederherzustellen. Für etablierte Weinländer ist dieses kleine Wachstum wirtschaftlich unwesentlich – aber vielleicht nicht für lange. 

Das Phänomen der Wiedererweckung eines Weingebiets nach sechs- oder siebenhundertjährigem Schlaf – in der Tat, seit der mittelalterlichen Wärmeperiode – ist vielen österreichischen Weinliebhabern bereits am Beispiel der eigenen westlichen Bundesländer bekannt. International ist aber wohl die englische Südküste das Aushängeschild für solche Weingebiete, die ab dem ausgehenden 20. Jahrhundert wieder ins Leben gerufen worden sind. Deren inzwischen nennenswerter Grad an Bekanntheit ist vorerst auf einer mit Champagner gemeinsamen Geologie (Kimmeridgian-Kalk) und vorherrschenden Herstellungsmethode zurückzuführen, zunehmend aber auf die schiere Qualität der dort entstehenden Weine. 

England bietet zwar keine aktuelle Gefahr für die Vermarktung der längst etablierten Weinländer der Welt. Aber die maßgeblichen Investitionen dort seitens einiger Champagnerhäuser setzen ein Zeichen für kommende Jahre, in welchen die bevorzugte Verbindung von vollkommener Aromatik in Chardonnay und Pinot Noir Trauben mit bescheidenem Mostgewicht und ausgeprägter Säure zunehmend schwierig zu erreichen sein wird. Und sollte der Trend der letzten zwei Jahrzehnte anhalten, so werden Englands Winzer im Jahre 2035 eine keineswegs mehr zu vernachlässigende Rebfläche von 8.500 bis 10.000 Hektar bewirtschaften.

Kleine Rebflächen, aber große Ambitionen

Die Renaissance von Weinbau in Holland begann fast gleich mit der Englands. Das Pionierweingut Apostelhoeve blickt nämlich auf mehr als 50 Weinlesen zurück. Apostelhoeve macht allerdings bereits um die sieben Prozent der niederländischen Rebfläche aus und ist damit etwa zehnmal so groß wie der durchschnittliche Weinbergsbesitz des Landes. Es sorgt für Überraschung, dass Belgien mit etwa tausend Hektar über eine fast dreifach so große Rebfläche verfügt, wie sein nördlicher Nachbar – allerdings auf mehr als 300 Güter verteilt, von denen die anspruchsvollsten oft zu den kleinsten gehören, beispielsweise Eburon Estate mit seinen anderthalb Hektar.  

Polens Rebfläche – in etwa so groß wie Belgiens – liegt vor allem in Dolny Śląsk (ehemals Niederschlesien), was ebenso sehr auf historischen, wie auf klimatischen Tatsachen beruht. Grünberg (Zielona Góra) hat im Mittelalter eine Berühmtheit errungen, die bis ins 16. Jahrhundert bestand und im 19. Jahrhundert einen Wiederaufstieg erlebte, als Grünberg Sekt zur bekannten Marke in deutschsprachigem Raum wurde. Heute werden hundert Hektar Reben in Zielona Góra von einer fast gleichen Anzahl an Winzern bewirtschaftet. Allein schon diese Statistik deutet darauf hin, daß viele davon Weinbau nur als Hobby betreiben – ein Phänomen, das sich in anderen „neuen“ nördlichen Ländern wiederholt.

Selbst eines der wenigen polnischen Weingüter, die bereits im Ausland Aufmerksamkeit errungen hat, Winnica Moderna (ebenfalls in Dolny Śląsk), umfasst nur knapp über drei Hektar Reben. Allerdings gibt es nennenswerte Ausnahmen, was Betriebsgröße wie auch geographische Lage betrifft. Winnica Turnau, das mit 37 Hektar zu Polens größten Weingütern gehört, befindet sich im nordwestlichen Pomorze Przednie (ehemals Vorpommern). Bemerkenswert in Polen ist nicht nur der rasche Aufstieg der Weingüter, sondern auch der Enthusiasmus und die Eindringlichkeit, mit denen die Polen ihre neue Weinbaukultur empfangen (siehe dazu auch: EnoPortal.pl). 

Neuer Weindurst auf Kosten traditioneller Herkünfte

Die etablierten Weinländer Europas sind insofern mit folgender Tatsache konfrontiert: Was die Polen an heimischem Wein trinken, geht zwar zum Teil auf Kosten des Vodkakonsums, letztlich aber vor allem auf Kosten von Auslandsweinen. Und was in Belgien – zwölfgrößtes Land Europas, aber viertgrößter Weinimporteur – an belgischem Wein genossen wird, geht bestimmt auf Kosten des Imports. Und apropos durstige Länder mit erheblichem Weinimport: Norwegen erlebt ebenfalls weinbauliche Anfänge, wenn auch noch in sehr kleinem Ausmaß.  

Weinländer im Norden und Österreichs „Bergland“

Während der Weinkonsum im Allgemeinen ständig und seit Jahrzehnten sinkt, wächst stetig die Anzahl an Ländern und Gebieten, die Wein produzieren. Dabei muss auch ein damit einhergehendes Paradoxon berücksichtigt werden: Die Klimaerwärmung fördert eine Zuneigung für Weine mit erfrischendem Säuerspiel und niedrigem Alkohol, die gerade des Klimawandels wegen zunehmend schwierig zu erzeugen sind. Es sei denn natürlich, man bewirtschaftet kühlere Lagen. Insofern haben gerade die neuen und die  „neualten“ Weinländer des Nordens in Zukunft einen Vorteil. 

Diese Paradoxe spielen sich auch innerhalb Österreichs ab. Zwar ist glücklicherweise der hiesige Weinkonsum im letzten Jahrzehnt gegen den europäischen Trend einigermaßen stabil geblieben. Dennoch dürfte die Wiederkehr oder die Neuanfänge des Weinbaus in den fünf offiziell als Bergland zusammengefassten Bundesländern auf Kosten der bereits längst etablierten gehen. Konsumenten können sich auf Entdeckungen aus kühleren und bisher wenig beachteten Gebieten freuen. Die Weinbrache aber muss sich wohl auf das Mantra „Kleiner aber feiner“ besinnen.

 

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Hollands ältestes Weingut Apostelhoeve feierte unlängst seine bereits 50. Lese. © Wijngaard Apostelhoeve
Pinot Noir-Anlage von Harrow & Hope, Top-Schaumwein-Erzeuger in England. © Harrow & Hope
Winnica Moderna in Dolny Śląsk (Polen) sorgt für internationale Aufmerksamkeit. © Jedrek Wojnar