Wenn der Wein zu Tränen rührt und Kopfschmerzen verursacht, sind meist Histamine die Auslöser. Immer mehr Winzer setzen gezielt Gegenmaßnahmen. Geschätzte ein bis drei Prozent der Bevölkerung leiden an Histamin-Intoleranz (HIT) – als „Hit“ dürften die Betroffenen ihr Leiden aber nicht empfinden.

Die chemische Formel für tränende Augen und Kopfschmerzen. © Shutterstock

Weil diese Pseudo-Allergie einerseits nicht ausschließlich auf Histamine beschränkt ist und andererseits nicht nur bestimmte Weine als Auslöser infrage kommen, wollen wir die Problematik der biogenen Amine etwas umfassender darstellen. Unter Umständen können auch völlig gesunde Menschen von diesen organischen Abkömmlingen des Ammoniaks betroffen sein. Über das Lesegut und die Vinifikation können die Winzer Einfluss nehmen.

Leitsubstanz für Biogene Amine

Histamin hat gewissermaßen die Rolle einer Leitsubstanz für die Gruppe der biogenen Amine übernommen, da es bei Menschen nachweislich erhebliche Beschwerden verursachen kann. Biogene Amine sind die kleinsten Bausteine der Eiweiße. Sie entstehen beim Ab- oder Umbau eiweißhaltiger Lebensmittel durch Bakterien, somit auch bei Reifungs- und Gärungsprozessen.

Sie werden aus Aminosäuren durch Decarboxylasen gebildet, die zahlreich in Bakterien vorkommen; Histamin entsteht durch Abspaltung von Kohlendioxid aus der Aminosäure Histidin. Daher findet man größere Mengen biogener Amine in mikrobiell hergestellten oder fermentierten Lebensmitteln wie Käse, Sauerkraut, diversen Würsten und Wein sowie in proteinreicher Nahrung wie Fisch und Fleisch. Gesunde Trauben weisen nur geringe Gehalte dieser Substanzen auf.

Fertige Weine können neben Histamin auch Ethanolamin, Phenylethylamin, Putrescin, Cadaverin, Isopentylamin und Tyramin enthalten. Mit zunehmender Lagerungsdauer steigt der Gehalt in Nahrungsmitteln an, womit die Streuungsbreite der gemessenen Werte zu erklären ist. Histamin & Co. sind extrem stabil gegen Hitze und Kälte. Diesen chemisch eng verwandten Substanzen ist weder durch Tiefkühlen noch durch Kochen und Braten beizukommen.

Im menschlichen Körper machen ihnen Enzyme wie die Diaminoxidase (DAO) im Dünndarm oder die Histamin-N-Methyltransferase (HNMT) in der Leber den Garaus. DAO braucht als Co-Faktor Vitamin B6, auch Vitamin C ist hilfreich.

Einige dieser Amine sind biologisch höchst wirksam. Sie regulieren unter anderem die Magensaftsekretion, erweitern die Gefäße, wirken als Wachstumshormone und Neurotransmitter im Gehirn und werden auch mit einer verbesserten Lernfähigkeit in Zusammenhang gebracht.

Wirkweise der Histamine

Eine Vergiftung durch histaminhaltige Nahrungsmittel wurde erstmals 1828 dokumentiert, nachdem ein britischer Seefahrer Bonito-Makrelen gegessen hatte. Später stellte man fest, dass nur ein kleiner Prozentsatz der Bevölkerung allergisch auf bestimmte Speisen reagiert. Heute wissen wir, dass diese Patienten unter einem Mangel an DAO leiden oder der Abbau von Histamin gestört ist, beispielsweise durch Medikamente. Frauen sind häufiger von HIT betroffen als Männer, ausgenommen Schwangere, weil in der Plazenta zusätzliches DAO produziert wird.

Die Symptome sind jenen der Migräne ähnlich: Kopfschmerzen, Augendruck, Schwindel, Schwäche und Hitzegefühl, eine verlegte oder rinnende Nase, Unwohlsein bis hin zu Herz- und Kreislaufschwächen stellen sich ein. Auch Hautveränderungen sind möglich wie rötliche, juckende Flecken im Gesicht. Im Unterschied zu echten Allergien ist das Immunsystem an diesen Intoleranzreaktionen jedoch nicht beteiligt.

Nehmen Menschen, die gegen biogene Amine unempfindlich sind, histaminhaltige Speisen zu sich, steigt ihr Histaminspiegel im Blut nach rund 15 Minuten leicht an, um nach einer halben Stunde dank der Wirkung der Diaminoxidase auf den Ausgangswert abzufallen. Bei Probanden mit einer Intoleranz hingegen steigt die ohnehin erhöhte Histaminkonzentration stetig an. Diese Mitmenschen sind wahrlich nicht zu beneiden.

Wein hat weniger Histamin als Thunfisch

Der gleichzeitige Genuss von Käse und Wein etwa ist ihnen dringend abzuraten. Alkoholische Getränke verstärken die Wirkung von biogenen Aminen, da Alkohol und das bei dessen Abbau entstehende Acetaldehyd die Wirkung der Aminooxidasen mindern. Zu allem Überdruss erhöht Alkohol die Darmpermeabilität, was den Aminen den Übertritt ins Blut erleichtert.

Aus besagten Gründen wird Wein am häufigsten als Auslöser von Beschwerden genannt, obwohl er viel geringere Mengen an Histamin enthält als beispielsweise Thunfisch, Bergkäse oder Salami. Andererseits bringt Alkohol Histamine schneller ins Blut.

 

Abo bestellen – Der Histamin Schwerpunkt ist erschienen im Ressort Weinwissen in Vinaria Ausgabe 02/2023. Weinwissen Beiträge finden sich in jeder Ausgabe von Vinaria. Bestellen Sie Vinaria jetzt einfach & bequem zum Erscheinungstermin nach Hause. Das Jahresabo Vinaria mit 8 Ausgaben pro Jahr inklusive dem Vinaria Weinguide ist um € 69,00 (EU-Ausland € 89,00) erhältlich. Jetzt im Vinaria Abo-Shop bestellen