Michael Moosbrugger, Mitbegründer und Bundesobmann der Österreichischen Traditionsweingüter (ÖTW) nimmt ausführlich Stellung zur Frage der Lagenklassifizierung im Weinbau. 

Der Spitzenwinzer von Schloss Gobelsburg im Kamptal kontert damit einen Kommentar von Vinaria Kolumnist David Schildknecht ("Unzeitgemäße Lagenklassifixierung", erschienen in Vinaria Ausgabe 03/2022).

***

"Normalerweise pflege ich auf Kommentare und Kritiken in Fachzeitschriften nicht zu reagieren, da ich Winzer und Weinliebhaber für kompetent genug halte, sich ihre eigene Meinung bilden zu können. In dem Fall von David Schildknechts Kommentar: Unzeitgemäße Klassifixierung‘ möchte ich allerdings einmal eine Ausnahme machen.

Da dieses Thema derzeit die Weinbranche bewegt, wie kein anderes, denke ich, dass es wichtig ist, diese Kritik nicht einfach im Raum stehen zu lassen. Da David mit mir gerade ein ausführliches Interview geführt hat, kennt er meine Position sehr gut und versteht sicherlich, dass ich die Überlegungen und Überzeugungen der ÖTW in dieser Frage etwas erläutere und auf gewisse Problematiken eingehe. 

Einiges des nun Dargelegten, wird auch in der im September erscheinenden Festschrift anlässlich 30 Jahre ‚Österreichische Traditionsweingüter‘ nachzulesen sein.

Starrheit oder Beharrlichkeit?

Der Titel des Kommentares beinhaltet zwei wesentliche Fragen und Aspekte: einerseits die Frage nach der ‚Klassifixierung‘, andererseits die Frage des ‚Zeit- oder Unzeitgemäßen‘. ‚Klassifixierung‘ ist ein Kunstwort, das man unterschiedlich deuten kann. Einerseits assoziiert es eine gewisse Starrheit und Unbeweglichkeit (die sehr oft den französischen Klassifikationen vorgeworfen wird), andererseits könnte es ja auch für eine gewisse Beharrlichkeit stehen, die die ÖTW in dieser Frage an den Tag gelegt haben.Wenn man bedenkt, dass die ÖTW seit ihrer Gründung im Jahr 1991 an dieser Idee festgehalten haben, kann ich dieser Deutung nur zustimmen. 

Viel wichtiger erscheint mir allerdings die Frage nach ‚Zeit- oder Unzeitgemäßheit‘ dieser Idee. Die Diskussion darüber ist nicht neu. Man erinnere sich der Kommentare und Beiträge von Willi Klinger in seiner Position als ÖWM Chef, der immer klare Position bezogen und die Meinung vertreten hat, dass Klassifikationen nicht mehr zeitgemäß und ein Vehikel des 19. Jahrhunderts seien.

Vehikel aus dem 19. Jahrhundert

Bei diversen Sitzungen, Veranstaltungen und sonstigen Zusammenkünften hat man stundenlang Pro- und Kontra-Argumente gewälzt, Emotionen gingen hoch, Artikel in Fachblättern und Tageszeitungen wurden geschrieben, Polemiken entworfen und vieles mehr. War das Thema in den 1990er-Jahren von außen noch beargwöhnt und belächelt worden, so wurden die Diskussionen umso emotionaler geführt, je weiter das Projekt der ÖTW vorangeschritten war. Also warum waren die ÖTW’ler in ihrer Position so beharrlich?

Aus heutiger Sicht erscheint es umso erstaunlicher, dass sich die ÖTW-Gründer überhaupt dem Thema Lagenklassifizierung zugewandt haben. In den frühen 1990er-Jahren war die Burgund eine renommierte Weinherkunft, hatte allerdings auch ein Image, das von Inkonsistenz und Undurchschaubarkeit geprägt war. Eine Vorbildwirkung hatten eher noch Bordeaux oder die Toskana mit neuen Starweinen à la Tignanello oder Sassicaia, auf die damals aller Augen gerichtet waren. Wozu also sollte man das Modell der Côte d’Or kopieren wollen?

Notwendigkeit der Vermarktung von Herkunft

Vielfach bekam man das Argument zu hören, dass Klassifikationen heutzutage einfach nicht mehr zeitgemäß seien. Sie röchen nach dem 19. Jahrhundert und würden einfach nicht in das Gefüge des von einer individualistischen, liberalen Gesellschaft geprägten 21. Jahrhunderts passen. Mithin seien diese Instrumente längst obsolet, so die vielfach vorgebrachte Argumentationslinie. Indes ging es den ÖTW punkto Sinnhaftigkeit einer Klassifikation keineswegs um derlei Fragestellungen, sondern rein um die Notwendigkeit in der Vermarktung von Herkunft.

Das Grundfundament der Arbeit der ÖTW fußt auf der Überzeugung, dass Herkunft und deren gemeinsame Vermarktung innerhalb einer Winzergemeinschaft die sozialste und demokratischste Form der Vermarktung von Wein ist. Die Herkunftsvermarktung bietet den Winzern eines Gebietes viele Vorteile, denn durch die gemeinsame Verwendung von Herkunftsbegriffen bei der Vermarktung von Wein schafft man es im Falle von kleingliedrigen Strukturen, diese Begriffe am Markt und unter Weinliebhabern bekannt zu machen. Gerade unbekanntere Winzer profitieren dadurch am meisten von der Vorarbeit der bekannten Weinbaubetriebe, die diese Herkunftsbegriffe auf dem Markt etablierten.

18 x DAC, 900 Weinorte, 4.300 Rieden

Herkunft und deren Vermarktung hat allerdings auch Nachteile. Man bedenke: Auf der Gebietsebene agieren wir mit einer noch einigermaßen überschaubaren Anzahl von Begriffen (in Österreich gibt es derzeit 17 und demnächst 18 DAC-Gebiete). Auf der Ortsebene kommen wir österreichweitschon auf 900 Begriffe und auf der Ebene der Lagen (Rieden) sprechen wir von rund 4.300 Begriffen. Hierbei den Überblick zu bewahren, ist selbst für österreichische Experten schwierig, für Fachleute im Ausland schier aussichtslos.

Der große Vorteil einer Klassifikation besteht darin, dass es in einer weltweiten Kommunikation einfacher ist, Kategorien (Klassen) und deren Inhalte und Qualitätsversprechen zu transportieren als die große Anzahl an Orts- oder Lagennamen, die in den Klassen enthalten sind.

Wenn es einer Gemeinschaft gelingt, Kategorien (Klassen) von Weinen mit einem Qualitätsanspruch zu definieren, dann ist die Kommunikation – speziell wenn es sich in der Systematik um bereits gelernte Konzepte von anderen Regionen handelt – um ein vielfaches einfacher.

Wenn ein Sommelier in London, Paris, New York oder Tokio zu einem Tisch geht und einen „Ried Heiligenstein“ präsentiert, dann ist es für ihn wesentlich einfacher, den Gästen das Qualitätsversprechen dieses Weines zu kommunizieren, obwohl diese womöglich noch nie von einem „Heiligenstein“ gehört haben. Sie wissen zwar nicht, was für einen konkreten Wein sie bekommen werden, aber durch Informationen wie „Erste Lage“ oder „Große Lage“ können sie zumindest den Qualitätsanspruch des betreffenden Weines einschätzen.

Dies ist à la longue eine große Orientierungshilfe in allen Ebenen der Weindistribution. Genau aus diesem Grund haben sich Klassifikationen in Frankreich so gut bewährt und Gebiete mit Klassifikationen besser entwickelt als Gebiete ohne Klassifikationen.

"Größter Fehler, den wir jemals gemacht haben"

David stellt fest, dass es dafür keine Beweise gibt. Das ist richtig, denn eine Beweisführung wäre wahrlich schwer zu erbringen. Aber es gibt Einschätzungen von berühmten Winzern. So habe ich den Starwinzer Jean-Louis Chave (Hermitage) vor einigen Jahren gefragt, warum es an der Rhone keine Klassifikation gibt. Er antwortete, dass man dies unter Winzern in den 50‘ Jahren diskutiert hatte und damals der Meinung war, dass eine solche nicht notwendig sei. Er ergänzte: ‚Das war der größte Fehler, den wir jemals gemacht haben‘.

David fragt sich, warum wir gerade in Deutschland und Österreich an die Wirksamkeit und kommerzielle Notwendigkeit einer Klassifikation glauben. 

Glaubwürdig und nachvollziehbar

Es geht den ÖTW nicht um eine kommerzielle Notwendigkeit, wie ich weiter oben schon dargelegt habe, sondern um eine kommunikative Notwendigkeit. Erst wenn eine Klassifikation (unter der Voraussetzung, dass eine solche glaubwürdig, nachvollziehbar und kommunizierbar ist) einen kommunikativen Vorteil bringt, entwickelt diese auch eine Wirksamkeit.

Diese Wirksamkeit besteht aber nicht auf einer ökonomischen Ebene, sondern darin, dass wir es leichter schaffen unter den Bedingungen und Voraussetzungen der Herkunftsvermarktung unsere Realitäten hinsichtlich der Bedeutung unserer Weingärten Weinliebhabern und Experten verständlich zu machen.

Unter diesem Gesichtspunkt erstaunt es nicht, dass diese Entwicklungen gerade jetzt in Österreich und Deutschland stattfinden, da wir auch gerade jetzt mit den Realitäten der Herkunftsvermarktung konfrontiert werden. Sowohl in Deutschland als auch in Österreich wurde Wein über viele Jahre über Rebsorten vermarktet. Mit der Entwicklung des DAC Systems in Österreich werden die Vorteile, aber auch die Nachteile ersichtlich woraus sich die Notwenigkeit einer Klassifikation automatisch ergibt.

Ich teile auch Heinz Frischengrubers Einschätzung, dass sich Bedeutungen von Weingärten im Kontext ihrer Gebiete und ihrer Kultur über die Zeit hinweg ändern können. Daher haben wir auch bewusst ein Beurteilungssystem entwickelt, das auf solche Veränderungen Bezug nehmen kann und nicht derart starr ist wie die Klassifikationen in Frankreich. 

Nicht jede Steillage ist automatisch eine Erste Lage

Auf ein großes Missverständnis möchte ich zu guter Letzt noch eingehen. Lagenklassifizierungen beziehen sich nicht auf das ‚Potential‘ einer Lage. Auch nicht in Frankreich. Lagenklassifizierungen beziehen sich immer auf die ‚Bedeutung‘ einer Lage im Kontext seiner Geschichte und Kultur. 

Nicht jede Steillage an der Mosel oder im Donauraum ist automatisch eine ‚Gross(artig)e Lage‘. Es kommt darauf an, ob es Winzer gibt, die aus diesem Weingarten auch einen großartigen Wein bereiten und inwieweit Weinliebhaber bereit sind, für diesen Wein auch mehr Geld auszugeben, als für einen durchschnittlichen Wein. Es gibt eine Vielzahl solcher Lagen, die kein Mensch kennt, weil auch kein Wein (oder so wenig) daraus gemacht wird, sodass diese so gut wie unbekannt ist. Daher gilt – um wieder auf David Schildknechts Bemerkungen wieder zurückzukommen – eine Klassifikation ist immer eine Korrelation mit der Bedeutung einer Lage, und niemals eine Kausalität."

Ried Heiligenstein, Kamptal, Niederösterreich © ÖWM / Herbert Lehmann