Kremstal, konzentriert: Eine Masterclass am Weingut Müller mit dem deutschen Weinkritiker Sascha Speicher eröffnet vielfach unbekannte Rieden-Perlen aus dem südlichen Kremstal (Niederösterreich). Im Mittelpunkt die Rieden Gottschelle, Leiten und Eichbühel.

Masterclass mit Weinen aus 2008 bis 2023: Sascha Speicher. © Martina Siebenhandl

Welche Rieden bringen das südliche Kremstal am besten zum Ausdruck? Und welche haben in Zukunft besonders viel Potenzial? Darum drehte sich die Masterclass am Weingut Müller in Krustetten unter der Führung von Sascha Speicher, Weinpublizist und Chefredakteur des deutschen Fachmagazins Meiningers Sommelier. Drei Vertikalen konnten das Gesagte eindrucksvoll untermauern: von den Rieden Gottschelle, Leiten und Eichbühel, ergänzt um Raritäten aus der Müller-Vinothek. 

„Die Kontraste im südlichen Kremstal faszinieren mich jedes Jahr aufs Neue“, fasst Winzer Leopold Müller zusammen. Kleinteiligkeit, Mikroklimas, diverse Bodenformationen: Auch innerhalb der jeweiligen Lagen gilt es Feinheiten zu entdecken und Details herauszuarbeiten. „Das Mikroklima wird wichtiger“, bestätigt Sascha Speicher. Neben dem Alter der Reben sieht er die spezifischen Bedingungen in der jeweiligen Parzelle als wesentlichen Faktor.

Weingut Müller: Neue Generation entwickelt Stilistik weiter

Verkostet wurden Weine aus den Jahrgängen 2008 bis 2023 – eine Zeitspanne, in die auch ein Generationenwechsel am Weingut Müller fällt: Seit dem Jahrgang 2023 ist Martin Müller als Kellermeister für die Weine verantwortlich: „Mir geht es darum, den Charakter jeder Einzellage in die Flasche zu bringen. Ich möchte Weine machen, die mit ihrer Frische und Säurestruktur überzeugen.“ Sascha Speicher beschreibt die Phase des Generationswechsels „als Moment, in dem am Weingut besonders viel Energie frei wird.“ Zeit, um es auf die nächste Stufe zu hieven.

Ried Gottschelle: Die Lage der Gegensätze

Die Ried Gottschelle am Fuß des Göttweiger Berges ist eine Lage der Gegensätze. Während in vielen Bereichen der eiszeitliche Löss bis zu 12 Meter dick ist, dominiert an anderen Stellen der kristalline Unterboden mit Gestein aus dem Dunkelsteiner Wald; ähnlich der anderen Steilterrassen des Weinguts Müller. Auf alten Donauterrassen in 220 bis 280 Meter Seehöhe. 

Gesteinsstaub-Sedimente finden sich hier aus mehreren Eiszeiten von vor etwa 600.000 Jahren bis 13.000 Jahre vor Christus. Erstmals 1341 urkundlich erwähnt, der Name kommt von „Goetschen“ (= scharfe Geländekante). Beeindruckend ist die Biodiversität und Artenvielfalt in der Ried Gottschelle, in deren Lösswänden sich die größte Population an Bienenfressern in Österreich findet.

Ried Leiten: Kleinteiligkeit, Terrasse für Terrasse

Die Ried Leiten in Krustetten formt sich aus unzähligen kleinen Parzellen, die – übereinandergeschichtet – ein großes Ganzes ergeben. Der Hang: so steil, dass manche Terrassen nur wenige Zeilen breit sind. „Wir sind überzeugt, dass unsere Böschungsterrassen viele Vorteile in Zeiten des Klimawandels bringen – die Böschungen haben einen kühlenden Effekt“, erklärt Diana Müller. Große Temperaturunterschiede zwischen Tag und Nacht sorgen für komplexes Aromenspiel – auch deshalb ist die Ried Leiten auf 220 bis 280 Meter Seehöhe prädestiniert für die Rebsorte Riesling. 

Ried Eichbühel: Cool-Climate-Riede 

Ein ganz spezieller Unterboden dominiert die Ried Eichbühel in Krustetten. Das Konglomerat der Hollenburg-Karlstetten-Formation besteht aus Materialien, die einst die Ur-Traisen hier anspülte: verfestigtes Geröll, Kiese und Sande, darüber teilweise Löss. Die Weine von hier können lange und konstant reifen, da die nach Nord-West und West ausgerichtete Lage auf 250 bis 350 Meter Seehöhe über sehr gute Durchlüftung verfügt. 

Als eine der höchstgelegenen, kühlen Rieden im südlichen Kremstal hat Eichbühel besonders viel Potenzial – „ein Familien-Juwel“, so die Winzerfamilie, die auch hier besondere Anstrengungen in die rekultivierten Böschungsterrassen investiert: In mehreren Erntedurchgängen werden die Trauben gelesen, je nach Höhenlage. 

Kostnotizen (alle Weine Weingut Müller, Krustetten)

RIED GOTTSCHELLE

Die verkosteten Weine: Grüner Veltliner Ried Gottschelle Kremstal DAC aus den Jahrgängen 2016, 2019, 2021 und 2023.

Tabakige Veltliner-Würze, Salzigkeit, perfekt gereift: „2016 macht das aus, was Gottschelle groß gemacht hat“, erklärt Sascha Speicher. Während 2016 und 2019 mit Ruhe und Gelbfruchtigkeit bestechen, präsentiert sich 2021 wesentlich vertikaler mit frischer, präziser Frucht. 2023 bewegt sich genau dazwischen und nimmt jeden mit. 

RIED LEITEN

Die verkosteten Weine: Riesling Ried Leiten Kremstal DAC aus den Jahrgängen 2017, 2019, 2021 und 2023.

Sascha Speicher attestiert seit 2017 eine sehr moderne Stilistik. Das Top-Riesling-Jahr 2017 zeigt sich mit expressiver Frucht und Leichtfüßigkeit – noch immer sehr jugendlich. 2019 bringt besondere Kräuter-Würze mit. 2021 besticht mit zitrischen Noten, ist energetisch und säurebetont. 2023 einmal mehr der Wein, bei dem viele Facetten gleichberechtigt nebeneinanderstehen.

RIED EICHBÜHEL

Die verkosteten Weine: Grüner Veltliner Ried Eichbühel Kremstal DAC Reserve aus den Jahrgängen 2016, 2019, 2021 und 2023. 

„Wenn man die vier Weine probiert, weiß man, warum sich die Familie Müller viel von dieser Lage erwartet“, fasst Sascha Speicher zusammen. Schlank, aber trotzdem cremig – mit dem zeitgemäßen Profil des Grünen Veltliners.

 

Weingut Müller
3508 Krustetten, Hollenburgerstraße 12
info@weingutmueller.at

 

Diana Müller, Marketing- und Exportleiterin. © Martina Siebenhandl
Patron & Mastermind Leopold Müller. © Martina Siebenhandl
In den Lösswänden der Ried Gottschelle findet sich die größte Population an Bienenfressern in Österreich. © Weingut Müller
Meterdicke Löss-Schichten trennen die Terrassen der Ried Gottschelle. © Robert Herbst
Die Ried Leiten verfügt über einzigartig unterschiedliche Mikroklimas. © Robert Herbst
Blick über die in kleinteiligen Parzellen strukturierte Ried Eichbühel. © Robert Herbst