Bereits kurz nach der politischen Wende in Ungarn folgte jene in der Weinkultur: Nun scheint das Know-how gegeben, um an den Ufern von Theiß und Bodrog ein sicheres Fahrwasser anzusteuern.

Judit Bodó - verdientermaßen zur ungarischen Winzerpersönlichkeit des Jahres gewählt © Ferenc Dancsecs

Im Allgemeinen wird die Regentschaft von König Bela IV. als erste Hochblüte des ungarischen Weinbaus betrachtet. Um das Entstehen des Tokajer Ausbruchs ranken sich, wie bei anderen Süßweinen, zahlreiche Legenden. Erwiesen ist jedoch, dass der Fürstin Zsuzsanna Lorántffy im Jahr 1651 ein Tokajer Ausbruch aus dem Weinberg Oremus kredenzt wurde. In der Folge erwarb der süße Tokajer höchste Reputation an den bedeutendsten europäischen Höfen.

Heute erstreckt sich das Weinbaugebiet auf einem ungleichmäßigen Dreieck von 60 Kilometer Länge und 30 Kilometer Breite, wobei es im Westen und Norden vom Zemplén Höhenzug begrenzt wird und im Nordosten die Grenzen zur Slowakei und Ukraine nicht weit entfernt sind.

Die Vinaria Erkundungstour führte von der auf dem Tokajerberg georteten Mitte und Tokaj gleichsam entlang des linken Flügels zu den Weinbauorten Tarcal, Bodrogkeresztúr und Mád und dann zurück in die Mitte nach Erdöbénye und Olaszliszka.

Zwei Revolutionen in kurzer Zeit

Nach dem politischen Umbruch und nach der Auflösung des nationalen Weinhandelshauses formierten sich zunächst große internationale Unternehmen, die versuchten, möglichst große Anteile in den besten Lagen zu erwerben, die sie zum Teil auch neu bestockten. Sie revolutionierten den Süßweinstil quasi mit einem Schlag, wollten sie doch nach dem Vorbild von Sauternes und anderen Dessertwein-Herkünften möglichst reintönige und fruchtbetonte Weine reduktiver Stilistik auf den Markt bringen.

Da diese Kellereien für die Zwischenzeit natürlich auch Altbestände des staatlichen Weinhandelshauses übernehmen konnten, lagen später einige Jahre lang Ausbrüche althergebrachter Stilrichtung neben jenen des „Dolce Stil nuovo“, was neben witzigen Kontrasten vor allem für Verwirrung unter den Konsumenten sorgte.

Die jüngeren Weinliebhaber wandten sich zum Großteil aber bald der neuen Stilrichtung zu. Der ab Mitte der Neunzigerjahre dominierende, „moderne“ Weinstil hat sich längst endgültig durchgesetzt. Diese Entwicklung wurde jedoch nicht nur von den Big Players getragen, sondern auch von den kleineren Familienbetrieben, die sich wie in Österreich bald etablierten. Zum Teil wurden sie sehr rasch zu Speerspitzen des neuen Qualitätsdenkens.

Eine spezielle Rolle kam dabei dem schon zu Lebzeiten zur Ikone gewordenen Pionier István Szepsy zu, der von Anfang an auf puristische Ausbrüche aus den allerbesten Lagen und im Jahre 2000 als Erster mit der Lage Úrágya auch auf trockenen Furmint gesetzt hatte. Bald kamen andere Qualitätsfanatiker wie etwa Zoltán Demeter hinzu, die alle nur das Ziel hatten, dem altehrwürdigen Tokaj-Hegyalja neue Reputation zu verschaffen.

Auf zu trockenen Ufern

Sowohl die großen internationalen Kellereien als auch die familieneigenen Boutique Wineries erkannten nämlich bald, dass das Interesse der Weinwelt an hochwertigen Süßweinen begrenzt ist.

Die wirtschaftlichen Notwendigkeiten ließen der Winzerschaft gar keine andere Wahl, als diesen Widerspruch in sich aufzulösen und innerhalb kurzer Zeit die Erzeugung reintöniger trockener Weine aus den Hauptsorten Furmint und Harslévelü sowie Cuvées zu erlernen.

Bald zeigte sich aber, dass der Teufel im Detail steckt. So ist der Furmint nun einmal eine Rebsorte, die einen gewissen phenolischen Charakter mit sich bringt, der sich bei zu früher Ernte und unsensiblem Ausbau recht garstig äußern kann.

Auch frühe Lese, um den Weinen mehr Frische und Frucht zu verleihen, erwies sich bald als Irrweg, denn auch der trockene Furmint benötigt Vollreife und höhere Zuckergrade, um sein geschmackliches Optimum zu erreichen und gerbstoffige Untertöne zu vermeiden.

Dafür vermag er in ausgesprochen heißen Weinjahren wie etwa 2000, 2003, 2011, 2015 und mit Einschränkungen 2018 balancierte und vitale Weine voll Saft und Kraft hervorzubringen, denen es nur selten an Säure mangelt.

Gut zu vertragen scheinen sich der Furmint und die Eiche: So profitiert er schmeckbar von der Reifung im großen Holzfass und fühlt sich auch im kleinen gebrauchten oder einem Mix aus neuen und alten Barriques durchaus wohl, solange der Holzeinfluss nicht übertrieben wird, wie es in den Anfangszeiten nicht nur in Tokaj vereinzelt der Fall war.

Als Faustregel kann man davon ausgehen, dass ein trockener Lagenwein aus einem guten Jahr ohne Weiteres fünf Jahre und ein wenig mehr schaffen kann. Einige Protagonisten haben aber bereits bewiesen, dass ihre besten Lagenweine wesentlich mehr Reifepotenzial besitzen; zu diesem erlauchten Kreis gehören unter anderem die Weingüter Szepsy, Demeter, Bott und Kikelet.

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László Mészáros, Geschäftsführer von Disznókö, und Christian Seely, Direktor der AXA-Gruppe © Ferenc Dancsecs
Dr. Péter Molnár, Patricius © Uwe Schögl
Stéphanie Berecz © Uwe Schögl
István Szepsy © Ferenc Dancsecs
Dénes Szarka © Uwe Schögl
Urlaubsfeeling garantiert - das Bistro von Familie Szarka in Mád © Uwe Schögl
Hier wächst und schrumpft der Ausbruchwein von Morgen © Ferenc Dancsecs